Ars magna lucis et umbrae


Ich wollte auch meine zwei Cent zum von Lloyd gestarteten Thema Meridiane hinzufügen, und jenes kleine italienische Buch über die Kunst der Sonnenuhren vorführen, das ich vor fast zwanzig Jahren in einem kleinen, abgelegenen Laden der Trastevere kaufte, wo man alle Arten von selbstgemachten Zeitmessgeräte feilbot, jede Sekunde tropfende Wasseruhren, Kerzen mit pro Stunden unterteilten Dochten, als camera obscura funktionierende Ringe mit einem Loch und mit der Aufschrift Carpe diem. Aber das Leben eilte mir entgegen.

Heute habe ich begonnen Umberto Ecos neues Buch zu übersetzen: Storia delle terre e dei luoghi leggendari – fabelhafte Länder, legendäre Orte, so lautet sein Arbeitstitel, aber das Buch fügt eine weitere Wendung dazu, was man erwarten würde. Es handelt sich nicht einfach über imaginäre Welten, wie man bei Eco, vom Baudolino bis zu Die Insel des Vorigen Tages gewöhnt ist, sondern darüber, wie die fanatischen Leser die fiktiven literarischen Orte ernsthaft nahmen, von der Antike bis Dan Browns Priorat von Sion. Und schon im ersten Kapitel über die Antike werden wir von unseren guten Freunden, den Meridianen begrüßt.

Che la terra fosse tonda lo sapeva naturalmente Tolomeo, altrimenti non avrebbe potuto dividerla in trecentosessanta gradi di meridiano, e lo sapeva Eratostene, che nel III secolo avanti Cristo aveva calcolato con una buona approssimazione la lunghezza del meridiano terrestre, considerando la diversa inclinazione del sole, a mezzogiorno del solstizio di primavera, quando si rifletteva nel fondo dei pozzi di Alessandria e di Syene, di cui si sapeva la distanza reciproca.Natürlich Ptolemäus war auch bewusst, dass die Erde rund ist, sonst hätte er sie nicht in 360 Grade unterteilt; und es war auch dem Eratosthenes bekannt, der im dritten Jahrhundert v. Chr. die Länge des Meridians der Erde mit einer guten Annäherung berechnete, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Einfallswinkel der Sonne zum Zeitpunkt der Frühlings-Tagundnachtgleiche, wenn sie sich am Mittag in der Tiefe der Brunnen von Alexandria und Syene, deren Abstand bekannt war, spiegelt.

Eco, der in seinen populären Alben – Die Geschichte der Schönheit, Die Geschichte der Häßlichkeit, Die unendliche Liste – Trivia mit raffinierten Problemvorschlägen verführerisch vermischt, ist einem Super-Jongleur ähnlich, der mit hundert Kugeln auf einmal spielt, und wenn er fünf davon fallen lässt, ist es kein Problem. Der Übersetzer muss aber auch die fünf verlorenen suchen und abbürsten, als ob nichts geschehen wäre. Dies ist, was ich jetzt zu tun versuche.

Wenn die Sonne sich am Mittag in der Tiefe eines Brunnens spiegelt, das bedeutet, dass sie genau senkrecht, oberhalb der gegebenen Lage steht. Wenn sie sich in der Tiefe zweier Brunnen spiegelt, dann gibt es keinen Unterschied zwischen den beiden Einfallswinkeln, so dass daraus nichts berechnet werden kann.

Die Realität ist, dass Eratosthenes, der alexandrinische Bibliothekar erfuhr es von einer aus dem südlichen Syene – dem heutigen Assuan – kommenden Karawane, dass die Sonne sich in den Brunnen der genau unter dem Wendekreis des Krebses liegenden Siedlung nur einen Tag des Jahres spiegelt, am 21 Juni, das heißt, am Tag des Sommersonnenwende. Er hat im gleichen Moment den Einfallswinkel des Sonnenlichtes in Alexandria (7°12') gemessen, und er fand, dass er ein Fünfzigstel eines Vollkreises ist, demzufolge soll die Länge des vollen Meridians Fünfzigfache der bekannten Entfernung der beiden Städten sein. Der daraus resultierende Umfang der Erde – 39.690 Km – unterscheidet sich nur unwesentlich von den heute bekannten 40 Thausend.

Die Geschichte der Messung wird wohl von einem englischsprachigen Interview mit Eratosthenes zusammengefasst, das auch ein modernes Diagramm anbietet. Aber im Interesse einer größeren Glaubwürdigkeit zitiere ich sie vom exzentrischen barocken jesuitischen Gelehrten, Athanasius Kircher selbst (Ars magna lucis et umbrae, Amsterdam 1671, 638-639), dessen Werke, wie Eco behauptet, finden sich alle (mit Ausnahme eines) in seiner persönlichen Bibliothek.


Hac solertia legimus Eratosthenem terrenae molis quantitatem indagasse; assumptis duabus urbibus Syene, & Alexandria sub eodem meridiano in planissima Aegypti regione sitis, quarum distantiam in stadijs 6183⅓ cognitam, ut prius, summo studio exploratam habebat. Quibus notis nihil aliud requirebatur, nisi ut eandem distantiâ in gradibus quoque notam haberet, quam ea, qua sequitur solertia invenit. Cùm tempore solstitij Syene urbs sub tropico ♋ immediatè sita, hora meridiana sit ἁσκιη, & umbra in seipsa sine ullo angulo cum gnomone facto consumatur: hoc tanquam cognito, Alexandriae eodem temporis momento dieque gnomonem erexit, diligenter angulum, quem gnomon cum umbra ad verticem faciebat, observando: hic enim erat, ut paulò post demonstrabimus, arcui meridiano inter assumptas urbes aequalis. Sed rem paradigmate demonstremus, etc.Über Eratosthenes lesen wir, wie einfühlsam er die Ausbreitung der Erde gemessen hat, aufgrund zweier Städte, Syene und Alexandria, die in der flachen Region von Ägypten, unter dem gleichen Meridian lagen, und deren Abstand von 6183 und ein Drittel Stadien wurde zuvor von ihm mit größter Sorgfalt festgelegt. In Bewußtsein dessen brauchte er nichts mehr als die Abstandswinkel der beiden Städten, die er in der folgenden genialen Weise bestimmt hat. Als in Syene, die unmittelbar unter dem Wendekreis des Krebses liegt, am Tag der Sommersonnenwende ist die Stunde des Mittags ἁσκιη, ohne Schatten, das heißt, der Schatten fällt genau mit dem vertikalen Gnomon zusammen, durch Beobachtung der Abweichung des Schattens des Gnomons von der Vertikale im selben Moment in Alexandria berechnete er, wie wir es bald auszeigen, die Winkeldifferenz zwischen den beiden Städten. Aber sehen wir die Demonstration Schritt für Schritt, etc.

Aufgrund all dessen änderte sich meine Übersetzung wie folgt:

…und es war auch dem Eratosthenes bekannt, der im dritten Jahrhundert v. Chr. am Tag der Sommersonnenwende am Mittag, wenn die Sonne sich in der Tiefe des Brunnens von Syene spiegelt, hat die Länge des Meridians der Erde auf der Grundlage des in Alexandria gemessenen Einfallswinkels bestimmt, deren Abstand von Syene ihm bekannt war.

Solche Korrekturen, Dutzende pro Volumen, werden natürlich immer an den italienischen Herausgeber zurückgeschickt, der dafür immer Dank sagt, und sie nie in die neuen Ausgaben einführt. Daher, wie schon lange bekannt, liest ein gebildeter Europäer Eco nur in ungarischer Sprache.


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