Hurra, Schule!


Aa, Aa. Die böhmischen Kinder lernen gleichzeitig in zwei Sprachen, mit den Buchstaben von zwei verschiedenen Alphabeten zu lesen aus dem 1855 in Litoměřice, das heißt, Leitmeritz veröffentlichten ABC-Buch. Das halb tschechische, halb deutsche Böhmen trägt immer noch in sich das Versprechen einer kleinen osteuropäischen Schweiz. Es gibt immer noch eine Chance, dass es keinen Kampf um Kinder, noch sudetenländisches Salvenfeuer, noch Lidice, noch Theresienstadt, noch Brünner Todesmarsch, noch Vertreibung der Deutscher geben wird. Der auf Almosen wartende Bettler, als er auf der ersten Seite des Buches in der Pose eines weisen Lehrers sitzt, scheint selbst Almosen zu geben. Die Beispiele wurden von den ähnlichen Wörtern der beiden Sprachen ausgewählt, die solcherweise meist ausländischer Herkunft sind. Durch ihre Abbildungen verlebendigt sich der Araber, der Armenier, die Aloe, die Ananas, die amerikanische Indianerin, der Reichtum der großen Welt, das böhmische Meer in der Grundschule von Leitmeritz, das heißt Litoměřice.


Anna zählt gut, sie achtet schön auf alles. Als sie das Zählen beendet, spielt sie mit dem kleinen Vogel auf ihrer Hand. Das Hundlein beginnt zu bellen, denn niemand will mit ihm spielen. Allerdings muss Zdenka noch im Zählen fortschreiten. Die 1890 in Jindřichův Hradec veröffentlichte Množilka v obrazech, das ist, Bilder-Multiplikationstabelle stellt die mit dem kleinen Vogel spielenden Jungfrau im Kastenraum der niederländischen Verkündigungen aus dem 15. Jahrhundert dar. Zdenka ist warscheinlich durch das Spinnen in der Zähling gehemmt.


Das 1903 in Prag veröffentlichte ABC-Buch war wahrscheinlich das einzige Hilfsmittel des Dorflehrers, der die Texte zu diktieren, und die Noten der Lieder zu lehren in sorgfältiger Handschrift an die breiten Ränder aufzeichnete, und auch solche kleinen Anmerkungen unter den Bildern laß, wie nicht zu vergessen, um zu erklären, warum es keine k am Ende von v klobouce (im Hut) gibt, und warum es eine am Ende von u klobouku (am Hut) hat.


In der Kopfzeile des Stundenplanes der Gemeindeschule von Lišná für das Jahr 1923-1924 eifern die beiden größten tschechischen Pädagogen, J. A. Comenius und – Sie sicherlich hätten es nicht gedacht – T. G. Masaryk die kleinen tschechoslowakischen Schuljungen an: „Klug zu sein – alles hängt davon ab“, und „Bildung ist für alle!“ Die Mehrheit der Lehrstunden waren Schreiben und Lesen, Zählen und Grammatik. Zweimal in der Woche Religion (römisch-katholische als auch „tschechoslowakische“ – letztere bezieht sich auf die zusammen mit dem neuen Staat gegründete Tschechoslowakische Hussitische Kirche), und dreimal Staatsbürgerkunde, das die Bedeutung des neuen Staates darstellt.


Gesundheit und Nachstendienst. Im Jahre 1937, in der Schule von Opava/Troppau weiß sogar die Kleinste, wie man sich die Zähne richtig putzen soll. Sie erklärt es den anderen, die, mit Zahnbürste und Becher im Hand herumstehend, sind begierig, es nach den Figuren der Zahnhygienische Wandtafel nachzumachen.


Andere Kinder gehen für einen Spaziergang. Nicht auf irgendwelche Art, sondern im Takt. Trompeter werden wir, im Takt marschieren wir. Durch das Dorf marschieren wir. Die mit Hakenkreuzfahnen und SS-Runen Marschierenden werden von den Passanten mit Armhebung und von den Mädchen mit Blumen begrüßt, ebenso wie 1938 in Asch und Machendorf. All das in der 1939 Prager Ausgabe der in der ganzen Reich beliebten Hirts Schreiblesefibel.


An anderer Stelle gehen auch die Buchstaben für einen Spaziergang. Auf den Seiten des 1940 im besetzten Prag veröffentlichten Kulihráškův národní slabikář. Veselá knižka pro nejmenší čtenáře a jejích maminky (Erbsleins nationale ABC-Buch. Ein fröhliches Büchlein für die kleinsten Leser und ihre Mütterchen) ist jeder Buchstabe ein selbständige Persönlichkeit, mit festen Zielen. Die Abenteuer des Buchstabes p. Die Kinder gingen auf der staubigen Straße. Es war dort auch p. Er fragte sie: Wohin geht ihr? Wir gehen in Prag! Ich gehe auch mit ihr, sagte p. Und so ging er. Als er nach Prag kam, besuchte er alles. Er ging auch auf den Hradschin mit den Kindern. Prag eröffnete sich vor ihm. Die Augen von p rießen weit vor Staunen auf. Er hatte etwas so schönes noch nie gesehen. Er starrte fasziniert, er vergaß sogar, dass er aus einem ABC-Buch entkommen war. [Dies ist der einzige Satz ohne einem Buchstaben p]. So hat Erbslein ihn gefunden. Gemeinsam schauten sie auf Prag, und sagten: „Wie wunderbar ist unser Prag!“


Auf dem um 1820 hergestellten Gemälde Neuer Schüler in der Schule ist auch jede Figur eine selbständige Persönlichkeit mit festen Zielen. Der Lehrer starrt eifrig auf den vor ihm stehenden vollen Korb, darin eine Gans, ein Laib Brot, und mehrere Flaschen Wein, das traditionelle Geschenk an den Lehrer (siehe die Redensart ich habe nicht mein Zertifikat/Lizenz/Diploma für eine Gans gekauft). Die sorgfältige Mutter zeigt mit einem überzeugenden Lächeln auf denselben mit der rechten Hand, während mit der linken schiebt den verängstigten Jungen vorne, ins Wohlwollen des Lehrers. Der Knabe grüßt den Lehrer mit dem an die Brust erhobenen Hut, aber mit seinen Augen scheint er schon seine zukünftigen Klassenkameraden zu überprüfen. Die Kameraden offensichtlich beurteilen den Inhalt des Korbes, und ziehen daraus Folgerungen bezüglich des sozialen Status des neuen Schülers.Nur der von hinten dem Rock der Mutter auftauchende Kopf betrachtet die Szene gelassen und ohne Interest, oder vielleicht ist er irgendwo ganz anders in Gedanken.

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Die Ausstellung des Comenius-Museums in Prag stellt den Schulbeginn in Böhmen durch ein Jahrhundert mit Hilfe von ehemaligen ABC-Büchern, Fotos und Schulgeräten dar. Der mittelalterliche Gewölberaum wurde als Klassenzimmer eingerichtet, mit alten Bänken, Zählen- und Lesetafeln. Sogar ein ausgestopftes kleines Schulmädchen wurde unter Glas ausgestellt, einer der letzten Vertäter einer aussterbenden Rasse.


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Und der letzte Tableau illustriert mit den Fotos des ersten Schulganges von drei tschechischen Generationen – 1906, 1920, 1955 – die praktische Anwendung der vorgestellten Objekte.

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Ein Spaziergang durch die Ausstellung macht zwei Dinge deutlich. Einerseits, wie merkwürdig die Schulgangzubehöre im letzten eineinhalb Jahrhundert ähnlich blieben: ABC-Buch, Stundenplan, Schulbank, Ranzen. Und andernseits, wie genau diese puritanischen und konservativen Zubehöre immer den momentanen Geist der Zeit und der Politik abspiegeln. Über dies könnten aber die Eltern der jetzigen Schulanfänger viel mehr sagen.

Petr Velkoborský: Kleinschüler, 1987

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