Die drei Grazien


Heute war ich im Deutschen Historischen Museum in Berlin, um die mit großem Tamtam angekündigte Ausstellung Erster Weltkrieg zu sehen. Es ist vergeblich, viele Wörter über die Ausstellung zu verschwenden, wenn ein einziger beschreibt sie: langweilig. Im Keller, in einem großen Raum versucht eine turbulente Installation, die gesamte Gesichte des Ersten Weltkriegs zu präsentieren. Der Versuch ist ein völliger Fehlschlag. Wer den Fortgang des Krieges nicht ausführlich kennt, wird nicht in der Lage, ein kohärentes Bild aus den in mit den Namen der verschiedenen Kriegsschauplätzen gekennzeichneten Sektionen mit dem Absicht der Maximierung der emotionalen Wirkung ausgestellten Objekten zusammenzustellen. Und wer den kennt, wird den Zufälligkeit und Banalität ihrer Auswahl klar sehen. Ich hätte nicht einmal darüber geschrieben, wenn ich nicht kurz vor der Ausfahrt in der den Nachkriegsentwicklungen gewidmeten Sektion eines letzten Ausstellungsobjekts ansichtig wäre.


Die mehr oder weniger ein Meter breite Bronzetafel schmückte einmal das Gebäude des kroatischen Parlaments in Zagreb, und heute ist sie im Kroatischen Historischen Museum erhalten. Nach seiner Inschrift – „narodno vijeće na spomen proglašenja slobodne nezavisne države slovenaca hrvata i srba u hrvatskome saboru, XXIX. X. MCMXVIII.“ – wurde es vom Nationalrat gesetzt, um die Verkündigung des freien und unabhängigen Staates der Slowenen, Kroaten und Serben auf 29. Oktober 1918 zu gedenken. Die die drei Völker personifizierenden drei weiblichen Figuren im klassischen Kleid stehen Hand in Hand. Die auf der linken und rechten Seite halten in ihrer freien Hand die aus einer Vielzahl von Regionen zusammengesetzten Wappen von Groß-Kroatien und Groß-Serbien. Die dritte in der Mitte hat beide Hände voll, aber sie wurde auch nicht ohne einem Wappen gelassen. Sie hat es unter ihrem Fuß.


Wenn die drei südslawischen Schwesternationen ihre Verenigung auf der Wand des kroatischen Parlaments feiern wollen, los denn, obwohl die Aufrichtigkeit der Geste durch den mit Stift und Maschinengewehr gegeneinander geführten permanenten Bruderkrieg ernsthaft in Frage gestellt worden scheint. Aber dass sie bei dieser Gelegenheit es auch notwendig halten, das Treten auf das (heraldisch defekte) Wappen von Ungarn aere perennius zu verewigen, mit dem Kroatien auf der gleichen Seite den Ersten Weltkrieg durchkämpft hatte; das es nicht gewonnen hat, aber aufgrund des Friedensvertrags von ihm getrennt wurde; und mit dem es für 800 Jahren in Personalunion war und gemeinsam gegen das Osmanische Reich und seine balkanische Plünderer gekämpft hatte, so dass es hier auf sein eigenes Wappen und achthundertjährige Geschichte tretet – das gehört bereits zur Pathologie der neu geschaffenen osteuropäischen Kleinstaaten. Und es zeigt auch, zusammen mit Tausenden von ähnlichen Gesten, warum der Friedensvertrag, dessen vierundneunzigsten Jahrestages wir eben heute gedenken, jenseits aller historischen Überlegungen und Notwendigkeiten so eine lebendige psychologische und emotionale Belastung bleiben kann.

Ivo Kerdić, der Bildhauer, nach dem Ersten Weltkrieg Schöpfer von mehreren patriotischen Skulpturen und Medaillen, scheint während seiner Studienreisen die Grundsätze des römischen Klassizismus ausführlich gelernt zu haben. Es scheint jedoch, dass weder er noch seine Auftraggeber einmal über den wichtigsten Grundatz der klassischen Rom gehört hatten, mit dem sie seine Eroberungen erhalten und fördern konnte, und der in vier Wörtern als die Kunst der Regierung von Virgil in der berühmten Vers 6.853 der Aeneis zusammengefaßt wurde:

parcere subiectis et debellare superbos
die Unterworfenen schonen und die Übermütigen besiegen

Um die zweite Hälfte des Grundsatzes zu erlernen, hatten sie genügend Zeit zwischen 1991 und 2001. Die erste Hälfte jedoch scheinen sie nie gelernt zu haben.

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