Zu vier Händen


„Mein Großvater spazierte hinüber von Buda nach Pest, in Falk Miksa Straße, um seine Schwester Kamilla, die mit ihrer Tochter Klárika in einem Judenstar-Haus dort lebte – ihre drei Söhne wurden bereits zur Zwangsarbeit übernommen – zu besuchen. Sobald er eintrat, setzten sie sich zu vier Händen zu spielen. Es war tatsächlich charakteristisch für die Familie, dass jeder mit jedem zu jeder Zeit zu vier Händen spielen hinsetzen konnte. Sie spielten Operetten, Arien, aber auch ernstere Genres. Und die Zeit verging beim Spielen, und es war schon fünf Uhr, die Zeit, als ein Jude auf die Straße gehen durfte, vorbei. ʻSag schon, was kann passieren’, mein Großvater sagte, ʻniemand wird sich um einen alten Juden kümmern!’ Es passierte nicht so. Am Ende November, so wie er hinüberspaziert hatte, in einem dünnen Mantel, in löchrigen Schuhen, wurde er zu Fuß nach Deutschkreuz in Österreich getrieben.“


Das Doppelhaus am Keleti Károly Straße 29-31 wurde 1909 vom größten architektonischen Duo des ungarischen Jugendstils, Marcell Komor und Dezső Jakab entworfen. Die beiden Straßenfrontflügel für Mietshäuser, und das Gebäude etwas höher, am Ende des Gartens, für ihre eigenen Familien. „Damit ihre legendäre Zusammenarbeit um nichts gestört wäre, sie haben alles klar getrennt“, erinnert sich Marcell Komors Enkel, Tamás Székely, selbst Ingenieur. „Nach links war das Komor-Mietshaus, und nach rechts das Jakab-Mietshaus. Im Oberhaus, nach links das Komor-Wohnung, und nach rechts das Jakab-Wohnung, mit besonderen Eingängen und besonderen Treppenhäusern. Nur das Komor- und Jakab-Büros am ersten Geschoß wurden mit einer Tür zusammengebunden. Auf der Straßenfront stand einmal eine riesige geschnitzte Tor, mit zwei kleinen Toren: die Komor-Tor nach links, und die Jakab-Tor nach rechts. Und wir gingen immer durch die Komor-Tor ein und aus, und die Familie Jakab immer durch die Jakab-Tor, und ich erinnere mich an keinen Fall, wenn es nicht so passierte.“

Die einzige Ausnahme ist das Foto, das vermutlich kurz nach dem Bau des Hauses gemacht wurde. Auf diesem Bild sitzt Marcell Komor an der rechten Seite des Hauses, auf dem Jakab-Bank, mit seiner Tochter Anna.

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„Nur die linke Seite des Gebäudes wurde für Judenstern-Haus erklärt, das Jakab-Haus nicht. Viele Leute zogen sich ins Haus ein, sowohl Bekannten als auch Fremden. Mein Großvater blieb dort, hat die Situation mit Würde und Gelassenheit ertragen.“

Das Komor-Haus wurde von einer Bombe am Ende Januar 1945, nur zwei Wochen vor dem Ende der Belagerung von Budapest getroffen. Der obere Teil, die Wohnung der Familie Komor wurde vollständig niedergebrannt. Aber das Haus wurde lange vor dem geplündert.

„Am 19. März 1944 kamen einige deutsche Offiziere zum Komor-Jakab-Haus, das natürlich voller Wertgegenstände, Antiquitäten, Skulpturen, Gemälde war.
Im Jahr 1944 war Dezső Jakab nicht mehr im Leben, Marcell Komor lebte noch.
Jakabs Witwe, Irén Schreiber * laß die extrem höflichen und eleganten Offiziere ein, die die ungarische Grenze an demselben Morgen überquert hatten.
Als die alte Dame keinen Zweifel über den Zweck des Besuchs der Offiziere hatte, sie bot sofort an, sie durch die Wohnung zu führen, und die Wertgegenstände aufzuführen.

Die Soldaten aber haben dies höflich abgelehnt, und sagten, dass sie am denselben Tag noch viele weitere Orte zu besuchen müsssen. Sie nahmen nur ein Papier aus, mit der genauen und detaillierten Liste aller Wertgegenstände im Haus, bis auf den letzten kleinen Bilderrahmen. Am Ende der Liste ein paar Zeile ankündigten, dass der deutsche Nationalbank würde für alles, sobald der Krieg vobei war, bezahlen. ʻSchreiben Sie es hier unter, bitte’, sagten die schneidigen Soldaten, die, sobald ihre Mission in der Komor-Wohnung beendigten, gingen weiter.“
Iván Bächer: “Komorok. Egy pesti polgárcsalád históriájából”
(Die Komors. Aus der Geschichte einer Pester Bürgerfamilie), Budapesti Negyed 1996/4

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„Damals war ich nicht zu Hause. Ich war achtzehn, und ich diente der Heimat weit weg von hier. Erst nach meiner Rückkehr erfuhr ich, was passiert ist. Ich fragte einen Kollegen meines Großvaters, einen Architekt, der zusammen mit ihm nach Deutschkreuz deportiert wurde, obwohl es ihm gelungen war, nach Hause zu kommen. Ich fragte ihn, wie mein Großvater starb. Er wollte darüber nichts sprechen. Erst nach langer Zeit hat er gesagt, dass es schrecklich war, dass es ganz schrecklich war. Ich habe nicht mehr darüber erfahren.“


Brahms: Fünfter ungarischer Tanz zu vier Händen. Mirka Lachowska und Edgar Wiersocki, 2008


1 Kommentar:

Ferdinand hat gesagt…

Faszinierende Musik und Lebensgeschichte