Vladimir Belyaev: Das alte Schloss (1952)
Dieser Post wurde in Vorbereitung unserer Czernowitz-Odessa Tour im April 2013 geschrieben. |
Für die meisten ist Kamenez-Podolsk aus einem Grund bekannt: dass im Sommer 1941 die ungarischen Behörden, die Gelegenheit der seit kurzem unter deutscher Besatzung stehenden galizischen Gebieten ausnutzend, wollten zumindest einen Teil der Juden in Ungarn loswerden durch der Verlagerung dorthin über der Grenze diejenigen von ihnen, die ihre ungarische Staatbürgerschaft nicht nachweisen konnten. In Wirklichkeit gaben sie sie in Körösfő/Yasinya, an der alt-neuen ungarischen Grenzstation an die Deutschen über, die innerhalb kurzer Zeit haben sie alle hingerichtet, fast 18 tausend Menschen, aber ihre genaue Zahl ist nicht bekannt.
„Und dann seltsame Zeiten kamen: die Leute mussten ihre Staatsbürgerschaft und Nationalität beweisen, Geburtsurkunden einreichen.
Die Vorfahren von [dem großen Autor] Szomory hatten für mindestens 200 Jahre in Ungarn gelebt, aber er konnte es nicht beweisen, da er nicht ein einziges offizielles Dokument hatte…
Er zuckte mit den Schultern: „Ich wird es nicht beweisen. Jeder weiß, wer ich bin.” Emil, verzweifelt: „Dezső, sie werden dich deportieren, nach Kamenec-Podolsk abschleppen.” Er hat sich nicht aufgeregt: „Sowieso, ich habe noch nie dort gewesen. Ist es eine schöne Stadt?”
Andor Kellér: Autor im Turm (1958)
Allerdings, Kamenez-Podolsk, die Stadt verdient es nicht, dass wir seinen Namen nur mit dieser Tragödie verbinden. Auf der einen Seite, weil obwohl sie war das offizielle Ziel der Deportationen, dennoch wurde ein Teil der Massenmorde schon auf dem Weg hierher vollgezogen, vor allem in Butschatsch, etwa 70 Kilometer von hier entfernt, einem der geistigen Zentren der galizischen Juden, am Geburtsort von Freuds Familie, der Wiesenthals und des ersten hebräischen Nobelpreisträgers Agnon. „Und da liegen die Ihre”, sagtemein Führer, der alte polnische Anwalt nach dem Besuch des jüdischen Friedhofs, auf die beiden Massengräber deutend, unter denen Tausende von „heimatlosen” ungarischen Juden liegen, und deren bloße Existenz mußte in der Sowjet-Ära verborgen werden. Immerhin, auch Beljaev, der Autor unseres Anfangszitates musste der Tragödie mit der Veränderung der Einzelheiten und dem Weglassen jeder Bezugnahme auf die Juden gedenken im Jahre 1952, als in der Sowjetunion die Schauprozesse gegen die „zionistischen Ärzte” schon in Vorbereitung waren.
Und auf der anderen Seite, weil Kamenez-Podolsk – um eine Antwort an Dezső Szomory zu geben – ist in der Tat eine schöne Stadt. Eine wunderschöne Stadt mit einer großen Geschichte und reich an Denkmälern. Dabei war diese Geschichte schon vor 1941 in vielerlei Hinsicht mit der ungarischen Geschichte verwoben.
Der Name der Stadt bedeutet „Fels”, aufgrund seiner erstaunlichen geographischen Lage. Sie steht auf der Spitze eines einzigen, riesigen, ovalen Felsen mit einem Durchmesser von tausend Metern, deren senkrechte Felswände sind fast vollständig durch den Flusses Smotritsch in einer tiefen Schlucht umgeflossen, nur eine schmale Landenge als Eingang zum Fels lassend. Diese Landenge is durch eine wunderschöne mittelalterliche Burg von sieben Türmen bewacht, die ständig für mehrere Jahrhunderte verstärkt wurde, bis Stephan Báthory, Fürst von Siebenbürgen und König von Polen ihr die heutige Form eines Märchenschlosses gab. Seine Erinnerung wird auch durch ein anderes spektakuläres Stück der ehemaligen Festungssytem, den siebenstöckigen Báthory-Turm bewahrt, der fest auf der Felswand, am Ende der Kleinen Armenischen Straße, nur ein paar Minuten vom Polnischen Markt steht.
In der Tat war Kamenez-Podolsk immer eine Grenzstadt: das war seine Stärke und Swäche. Am Stoßpunkt der ehemaligen polnisch-litauischen Königtums und des Osmanischen Reiches, sie musste die erneuten türkischen Angriffe mit ihren eigenen Wänden aufhalten, wenn sie gelungen das nur 40 Kilometer südlich entfernte Festungssystem entlang des Dnestrs durchzubrechen. Das war der Grund dafür, dass sie als die stärkste Festung des Landes ausgebaut wurde. Die Stadt, der Schlüssel des polnischen Königtums wurde wiederholt bedroht, und ihre Erhaltung galt immer als ein ernstes Problem für den aktuellen Monarch, aber die erfolgreich abgewehrten Belagerungen gaben auch neue Kräfte für den weiteren Kampf, wie in den 1680er Jahren, als König Jan Sobieski nach der Befreiung der hiesigen Festungslinie mit demselben Impuls zu Wien marschierte, um die Eroberung der Stadt durch die Türken zu verhindern, und die endgültige Befreiung Ungarns von der osmanischen Herrschaft zu beginnen.
Kamenez-Podolsk, zu diesem Zeitpunkt kurz (1672-1699) in osmanischen Händen. Ein Pariser Stich von Nicolas de Fer (1646-1720), mit der Angabe der wichtigsten Gebäude und ethnischen Vierteln der Stadt, 1691
Aber die Grenzesituation war auch der Grund für den einzigartigen armenischen Handelsstadt-Charakter von Kamenez-Podolsk. Die aus dem Osmanischen Reich durch die „osteuropäische Seidenstraße” ankommenden armenischen Kaufleute, nach dem Überqueren der polnischen Grenze, stiegen hier zum ersten Mal an, und übergab ihre Waren an diejenige Armeniern, die sich im polnischen Reich niedergelassen hatten, und die diese nach Lemberg, Krakau und Breslau weiter lieferten. Dies ist, wie das noch vorhandene armenische Viertel der Stadt Gestalt annahm, mit dem riesigen Turm der festungartigen armenisch-katolischen Kathedrale und mit der kleineren armenisch-monophysitischen Kirche. In der Tat war Kamenez-Podolsk die einzige Stadt in Polen, wo neben der Kirche der mit der Katholikern vereinigten Armeniern auch eine andere aufgerichtet wurden konnte für die Anhänger der ursprünglichen armenisch-monophysitischen Konfession, für die aus dem Osmanischen Reich kommenden und bald wieder dorthin zurückkehrenden Kaufleute.
Dennoch machen die im polnischen Zentrum der Stadt noch vorhandenen luxuriösen Paläste nicht den Eindruck einer Grenzzone. Die Stadt wurde immer schnell von den neuesten geistigen Strömungen sowie der Innovationen der Mode oder Warschauer Künstlern erreicht. Das jüdische Viertel – das unter der Bogdan Chmelnizki-Aufstand und der anschließenden Tataren-Invasion schrecklich erlitten hatte – war auch offen für alle neuen Ideen. Kurz nach Schabbtai Zvis messianischer Bewegung hat Kamenez-Podolsk zum Zentrum ihrer Frankisten Fortsetzer geworden, die im Jahre 1757 auf dem Hauptplatz der Stadt den Talmud verbrannten. Hier wurde geboren und hatte eine luxuriöse Residenz Joseph Yozel Günzburg, einer der reichsten jüdischen Bankiers Russlands im 19. Jahrhundert, ein bekannter Philanthrop und Gründer der Gesellschaft für die Förderung Jüdischer Kultur. Und hier wurde geboren auch Mendele Mocher Sforim, einer der Begründer der modernen jiddischen und hebräischen Literatur, sowie der Schauspieler Zvee Scooler, der Rabbi in der Filmversion von Anatevka („Fiddler on the Roof”).
In der Stadt noch stehen es nebeneinander der polnische, ukrainische und armenische Markt, die katholische, orthodoxe, griechisch-katholische, armenisch-katholische, armenisch-monophysitische Kirche und die Synagoge, und sogar das von der kurzen Türkenherrschaft hintergelassene Minarett. Die Hochebene von Kamenez ist von einem Labyrinth der durch verschiede Nationen errichteten mittelalterlichen Türme, Renaissance-Paläste und charmanten barocken Straßen überzogen. Während unserer Reise durch Czernowitz nach Odessa werden wir diese traumhaft schöne Stadt besuchen auch um ihr Gerechtigkeit zu tun, und auch seine attraktive Seite statt nur ihres mit der Tragödie von 1941 verbundenen schwarzes Rufs kennenzulernen.
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