Ivan Aleekseevich Vladimirov, Maler der Bilder im früheren Post: Ungarischer Soldat, 1915
Muzsikás und Márta Sebestyén: Flieg, Vogel, flieg
Ich durchführte die Vermessung der mittelalterlichen Kirchen des Csík-Tals, wie ich wird es einst erzählen, und ich habe versucht, das kurzlebige schriftliche und mündliche Gedächtnis zu sammeln. „Gehen Sie zum Onkel Gergely”, sagten sie mir. Wie peinlich war es, fünfundzwanzig Deka Kaffee zu übergeben, eine Kleinigkeit für mich, einen Schatz in Ceaușescus Rumänien. Bücher lagen herum auf dem Tisch, die Geschichten flossten von Onkel Gergely, und eine erfrischende Luftblase bedeckte diesen Nachmittag in jener schrecklichen, erstickenden Welt.
Abschiedsbrief aus Csíkmenaság. Aus der Familien-Fotosammlung-Kampagne von Menaság
Ich erzählte jenen Nachmittag vielmals. „Geh doch, der Alter hat es faustdick übergetragen”, sagte Sergei ungläubig im Restaurant Fatâl. Unsinn, Lenins Leibwächter? „Nun, er hat ein Foto vorgezogen, und zeigte, dass das ist Lenin, das ist Stalin, und siehe, das bin ich.” „Du solltest das für ein russisches Magazin schreiben, wir würden es sofort veröffentlichen”. Ich hätte es geschrieben haben, mehrmals.
Dennoch gebe ich das Wort einem Zuhörer der viel autentischer ist als ich. Das rührende kleine Buch Csíki kaláka (Gegenseitige Hilfe im Csík-Tal) von Farkas-Zoltán Hajdú, der seit 1987 in Heidelberg lebt und sich intensiv mit der Forschung der Szekler und Sachsen beschäftigt, wurde von mir im Jahre 1993 in der ungarischen Buchhandlung von Csíkszereda / Miercurea Ciuc gekauft, von Hunderten von anderen, auf schlechtem Papier mit schlechten Buchstaben gedruckten schönen Bücher, die ohne einer Spur aus dem ungarischen Verlagswesen verschwunden.
Aus Csíkmenaság zur Front gesendete Postkarte vom Ersten Weltkrieg WWI. „Halte diese Kirche in Erinnerung, und wiß, dass es in Tagen schweres Krieges gebaut wurde, ebenso wie diejenigen, die wir jetzt überleben.”
„…Das war meine erste Begegnung mit Menaság. Damals war dieses Dorf wie die andere, die wir in diesem Sommer besuchten. Ich habe nicht einmal davon gehört. Es fiel weg von der Hauptstraße, und schien nicht besser als die anderen Dörfer von Csík. Für eine lange Zeit kehrte ich nicht zurück, und dachte nicht, jemals zurückzukehren.”
Aber innerhalb von zwei oder drei Jahren hatte ich eine Gelegenheit für eine neue Begegnung. Meine, noch unsere Tochter säugende Frau brachte mich mit dem Auto nicht genau in Menaság, sondern in seine Umgebung, nach Csíkszentgyörgy, um Gergely Bors zu begegnen. Den berühmten Gergely Bors, Lenins persönlichen Leibwächter.
Es war Frühling, meine Frau war in Eile, so konnte ich den alten Mann über 90 nur zwischen zwei Säugezeiten besuchen. Wir waren allein. Er hat schon erraten, warum ich zu ihm kam, denn viele hatten schon ihn über seine russische Erinnerungen sowohl offiziell als nur wegen den Geschichten gefragt. Irgendwann hatte er auch eine Rente aus der sowjetischen Botschaft empfangen, aber jetzt brachte ihm der lahme Postbote nur die Zeitschrift Aurora mit kleineren oder längeren Unterbrechungen. In seiner mageren, trockenen, bartlosen Figur war etwas nicht-bäuerlich. Ja, er hatte die klare Offenheit der weit gereisten Menschen. Sein Haar wurde beiseite gebürstet, und er empfing mich in einem Pyjama-Jacke. Bücher lagen auf dem Küchentisch, einige von ihnen durch Bleistift dicht unterstrichen. Seine Augen funkelten aus seinem Gesicht voller Falten, und schon seine Mimik zeugte vom großen Geschichtenerzähler. Seine Geschichte war sehr ähnlich zu allen von mir früher oder später gehörten Soldatengeschichten, die alte Leute mit so viel Vorliebe in den Kneipe erzählen, während sie ein Monopol oder einen Kümmelschnaps lecken. Jede Familie hatte ihre Männer, die im Krieg gewesen waren, und ihre Geschichten wurden stolz von ihren Nachkommern über mehrere Generationen bewahrt. Diese Geschichten waren ähnlich der Urkunden, die den Ruhm der Familie für viele Jahrzehnten garantierten.
Das offizielle Dokument über den Beitrag von György Bors (Csíkmenaság) zur Statue der Nationalen Großzügigkeit, 1915
Die Erfahrungen der Armee und des Gefängnisses bleiben immer lebendig in der Erinnerung der Leute. Ihre Hauptfigur ist nicht der tapfer kämpfende Soldat, sondern vielmehr der kluge Bursche, der aus der Gefangenschaft entkommend, setzt sich auf dem Weg mit einer einzigen Schaufel, und jedes Mal, wenn er argwöhnisch gesehen wird, beginnt er die Steine am Straßenrand auszurichten. Die Straße ist in dieser Weise viel länger, aber sie führt sicherlich zu Hause. Eine bessere Geschichte reift zu Anekdote, und sie wird nicht nur durch seine „Besitzer”, sonder von jedem, der es hört, erzählt werden. Später lernte ich auch alte Männer, die sich aus irgendeinem Grund in der russischen Gefangenschaft verfeindeten, und seitdem Todfeinde blieben. Dann und dort ging es um Leben oder Tod, und die Erinnerungen, die für ein ganzes Leben zu frisch sind, erlauben keine Vergebung für den Verrat und Untreue.
Die allgemeine Meinung über die ausländischen Soldaten ist sehr interessant. In den Kriegsgeschichten ist der deutsche Soldat immer höflich, aber, obwohl er Schokolade für die Kinder vertreibt, ist sehr seltsam; der russische, obwohl er alles wegnimmt, und ist ein unwissender, wilder und sehr zerlumpter Kerl, ist dennoch gutherzig und fromm. Hat die Tatsache, dass wir auch aus dem Osten kommen, die Soldaten aus Asien sympathischer gemacht? Vielleicht unsere Unterbewusstsein registriert die gemeinsamen Wurzeln?
Nun, Gergely Bors als ein junger Mann wurde in die Armee von Franz Josef eingereiht, wie es ist der Lauf der Dinge, und in einer der ersten Schlachten durch den Russen gefangen genommen, wie es ist der Lauf der Dinge, in riesigem Nebel, in der Mitte eines dichten Waldes. Er reiste über die Hälfte Russlands als Kriegsgefangener, und wurde endlich bei einem reichen Bauern, in einem gottverlassenen Dorf abgestellt, um das Land zu kultivieren. Sie mochten „Gligor”, der das Land genauso wie sie liebte, und konnte wie kein anderer das Holz zu arbeiten. Dann, eines Tages, es war sein Hausherr an der Reihe, zur Armee zu gehen. Es war viel Weinen in der Familie, aber nur so lange, wie die alten Leute nicht eine bessere Lösung fanden. Coup de théâtre: sie schicken Gligor anstelle des Hausherres, so wird er auf diese Weise auch näher an seine Heimat, und vielleicht wird es ihm gelungen zu entkommen.
Artillerist György Bors aus Csíkmenaság (ob ein Verwandte von Gergely?). Foto aus der Ersten Weltkrieg, von einem Studio in Komárom
Der Austausch wurde – mit der Hilfe von einigen Litern Wodka – erfolgreich durchgeführt, und Gligor, der bereits eine gute Kenntnis der russischen hatte, findet sich bald am Bahnhof einer großen Stadt. Ein weiterer coup de théâtre: jemand schlägt ihm in den Rücken: – Herr Bors, was machen Sie hier? Die Person, die das fragt, ist der Holzhändler, der vor dem Krieg eine Menge guter Brettgeschäfte mit Gergelys Vater gemacht hatte. Nach dem ersten Schreck bietet ihm das vom Himmel gesandte Bekanntschaft ein gutes Geschäft, in einen neuen Dienst einzustehen. Ihre Natur ist immer noch ein Geheimnis, aber der Erfolg ist garantiert. Jetzt muß eine sehr wichtige Person am Bahnhof gewartet werden, und dafür braucht man einen schönen robusten Szekler, der keine Angst von seinem eigenen Schatten hat und seinen Verstand an Ort und Stelle hat. Die Identität der Person ist auch noch ein Geheimnis, aber Gergely Bors ist nicht zu viel daran interessiert, die Hauptsache ist, dass er eine moderne automatische Pistole und reichliche Nahrung erhält. Der im Verborgenen gewartete Fremde kommt im Verborgenen, nachts an. Ein stämmiger kleiner Mann in großen schwarzen Mantel, ein anderer von jüdischer Aussehen.
Die Ereignisse beschleunigen sich, und Gergely Bors ist auch auf Lenins Seite bei der Belagerung des Winterpalastes. Sein Herz ist im Ort, und er ist gut gepflegt. Seine Begleiter sind auch Fremde, verzweifelte Burschen.
(Ich schüttele meinen Kopf im Unglauben, er bald endeckt es. Er nimmt Fotos aus der Schublade: – Na, junger Mann, schauen Sie mal hier: das ist hier Lenin, mit Krupskaja auf seiner Seite, neben ihnen ich mit verbundenem Kopf, und zu meiner Linken, Stalin – hols der Teufel! – zusammen mit seinem Sohn…)
Von der Belagerung des Winterpalastes erinnert er nur daran, dass es tötend kalt war, und die zaristische Kadetten da drinnen wurden befohlen, die Wodkabestände des Zares zu vernichten. Sie fingen an, den Alkohol in in den Abfluß auszugießen, was bald von jemandem draußen bemerkt wurde, der feststellte, dass in den Kanälen statt Abwasser Wodka fließt… Die Folgen liegen auf der Hand… es war sehr kalt, und mit einer guten Portion Wodka war es einfacher, die blutrote Fahne der Revolution zum Sieg zu bringen. Am Ende des Kampfes nur Lenin und ein paar andere aus seiner unmittelbaren Umgebung waren nüchtern.
Gergely Bors blieb in Lenins persönlicher Leibwächter-Einheit, begleitend ihn wie ein Schatten überall, zu öffentlichen Kundgebungen und Versammlungen. Die unangenehmste Erinnerung ist Stalin, also Dschugaschwili, wie man ihn damals nannte. Ein großer Tyrann und ein arroganter Mensch. Zusammen mit seinem Sohn vergewaltigen sie Frauen in der Straße am hellichten Tag, und sie hassen die Ausländer. Wenn betrunken, er wiederholt versucht Lenins Leben zu vernichten, damals ist er ein echtes Biest. Lenin, er ist sehr gut, ein guter alter Mensch. Er verteilt die ihm geschickten Lebensmittelpakete auch während der größten Hungersnot, und er ist bereits krank, sehr krank. Gergely Bors geht bei der ersten Gelegenheit ab, und bald ist er auf dem Gebiet der „Großen Rumänien”, in der unangenehmen, peinlichen schönen neuen Welt. Zu Hause, als wäre es nicht geschehen, nimmt ihn das Dorf reibungslos wieder auf, und er verändert sich zurück ohne ein Wort zu einem Szekler Bauer.
Vierundvierzig. Russische Soldaten, die nicht mehr seine Erinnerungen verstehen. Später, offizielle Interviews. Eine kurze Biographie und Bilder in einem Buch über die heroische Beteiligung der Rumänen in der „Großen Revolution”. Pension, und dann nur Aurora. Und damit schließt sich Gergely Bors Karriere auf der Erde ab.”
Ausstellung: Alte militärische Fotografien aus Csíkmenaság. Aus dem Bericht des Fotozeuge-Blogs
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