Die Verbannten


Familienalbum:
Alba, 1867
Hong Kong, 1897
Marseille, 1900
Paris, 1904
Valenciennes, 1918
Buenos Aires, 1930
Als ich ein kleines Mädchen war, war sie eine sehr alte Dame mit noch schwarzen Haaren und weißgepudertem Gesicht. So sehr ich zu ihr hörte, verstand ich nicht wirklich, was sie sagte – vielleicht sprach sie eine Sprache, die mir fremd war. Eigentlich hatte ich viel Angst von ihr, und ich hätte es nicht gewollt, dass man mich mit ihr allein lasse.

Hier ist sie sechzehn. Sie steht en bisschen steif neben ihrer Schwester, und schaut uns an mit Stolz, wie die das Feuer von der Nähe gesehen hatte. Über das dritte Mädchen rechts niemand weiß nichts heute. Sie begleitet die anderen beiden nur auf diesem Foto, nachdenklich, bevor sie in Vergessenheit entschwindet.

Sie kamen in Marseille im November 1900 mit einem holländischen Schiff an, vielleicht am vorigen Tag. Sie erlebten den Krieg, und sie haben ihn verloren: hier stehen sie besiegt und verbannt. Aber so sehr sie auch besiegt und verbant sind, die europäische Öffentlichkeit ist auf ihrer Seite, und der Presse benachrichtigt über sie: in Paris, Berlin, Brüssel oder Amsterdam man wollt ihre Geschichten und Bilder. Deshalb stehen sie Modell für eine Reihe von Fotos im Studio von Marseille des alten Félix Nadar: die zwei Schwestern allein, die drei jungen Mädchen in einer Gruppe, auf einem Foto in städtischer Kleidung, auf dem anderen in Kampfanzug.

Haben sie diese Kleidungsstücke, Hüte, Patronengurte, Gewehre, Fernrohre aus ihrem fernen Land mitgebracht? Haben sie mit den Waffen in ihren Koffer gereist, in Erinnerung an den Konflikt? Haben sie allein gekämpft, oder haben sie die Bewegung der Truppen gefolgt? Worauf denken sie posierend?

Oder vielleicht kommen diese Zubehöre aus einem anderen Koffer, demjenigen des Fotografs – ebenso wie die Fachel, die brodierten Pantoffeln und die seltsame Wasserpfeife aus demjenigen des Studios von Hong Kong –, und sie sind diejenige, womit man den aus dem Afrika-Safari zurückkehrenden Reisender, den den korsischen Bandit aufgreifenden Gendarm, oder den aus Ninive kehrenden Archäologen und seine Frau zieren. Jemand hat sie gegkleidet, in eine Reihe aufgestellt, man hat ein Gewehr in den Händen gesetzt – oh, vergessen wir nicht die Gurte, rief der Requisiteur, in einem Koffer grabend.

Aber all dieses Zubehör erweiste sich als nutzlos. Die Presse hat die Fotos endlich nicht gewollt. Immerhin war der Krieg bereits vorbei.

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