Unter den Fotos der gestern vorgeführten Dicescu Sammlung gibt es ein – Bild 13 im ersten Mosaik – in welchem, wie es scheint, können wir das früheste Beispiel des bekannten stalinistischen Photoshop-Verfahrens entdecken.
Auf dem in den ersten Tagen der Februarrevolution aufgenommenen Foto die für ein Gruppenbild auf dem Litejny Prospekt von St. Petersburg posierenden Soldaten jubeln mit gezogenen Schwerten die Revolution. Dies wird auch durch die Inschriften des Spruchbandes und der Fahne im Hintergrund betont: В борьбе обретешь ты право свое – „Im Kampf erringst du dein Recht“, und Долой монархию! Да здравствует республика! – „Nieder mit der Monarchie! Es lebe die Republik!“
David Kings große Übersicht, Stalins Retuschen: Foto- und Kunstmanipulationen in der Sowjetunion (1997) veröffentlicht jedoch auch eine frühere Version dieses Bildes.
Das Winken der Fahne ist hier viel natürlicher als auf dem vorherigen Foto, aber wir wissen nicht, was (wenn überhaupt etwas) auf ihr steht. Und was das Spruchband anbelangt, es stellt sich heraus, dass es auf die Stelle eines Ladenschildes retuschiert war, dessen ursprüngliche Inschrift war die folgend: Часы, золото и серебро – „Uhren, Gold und Silber.“
Bei David King endet hier diese schöne runde Geschichte als eines der frühesten Beispiele der kommunistischen Fotoretuschen. Es gibt jedoch einige zusätzliche Details, die Aufmerksamkeit verdienen.
Auf dem russischen Internet kann man schon das bisher unveröffentlichten Urstück dieses Bildes finden. Das ursprüngliche Foto zeigt deutlich, dass die Fahne tatsächlich eine Inschrift hatte, und sie wirklich begann mit Долой мо…
Und auf einem anderen Foto, das die gleichen Soldaten in einer anderen Pose zeigt, kann man nicht nur das vollständige Ladenschild, sondern auch die Inschrift der Fahne erkennen. Und sie ist die gleiche wie auf dem retuschierten Bild, wenn auch etwas fehlerhaft: Долой монорхію. Да Здравствует Демократическая Республика – „Nieder mit der Monorchie. Es lebe die demokratische Republik!“
Aber was ist die andere, auf das Foto retuschierte Inschrift: Im Kampf erringst du dein Recht? Wenden wir an den Klassiker für Hilfe:
„Korejko beobachtete aufmerksam Sinickys neues Rätsel. Auf dem schönen Bild der Gans gab es auch einen Sack, aus dem die folgenden Dinge kuckten: ein Buchstabe T, ein Tannenbaum, hinter dem die Sonne aufging, und ein auf musikalische Stangen sitzende Spatz. Das Rätsel endete mit einem Komma auf dem Kopf.
– Dies ist sicherlich kein Kinderspiel zu entschlüsseln – sagte Sinicky. – Sie müssen darauf für eine Weile den Kopf zerbrechen!
– Ach was! – antwortete Korejko mit einem Lächeln. – Nur diese Gans stört mich. Was auf der Erde hat die Gans hier zu tun? Aha! Verstanden! Fertig! Im Kampf erringst du dein Recht!
– Ja – sagte der alte Mann, frustriert, auf gedehntem Ton. – Wie haben sie es so schnell herausgefunden? Sie sind ein unglaublich talentierte Person. Man kann sofort sehen, dass Sie ein erstklassiger Buchhalter sind.
– Zweitklassiger – korrigierte Korejko. – Aber für wen haben Sie dieses Rätsel gemacht? Für die Presse?
– Für die Presse.
– Dann war es eine völlig sinnlose Arbeit – sagte Korejko. – Im Kampf erringst du dein Recht: das ist die Parole der Sozialrevolutionäre. Nicht geeignet für den Druck.“
Die Sozialrevolutionäre – die Esers (эсеры oder „S.R.s“) –, die bis zum bewaffneten bolschewistischen Putsch im Oktober die führende Partei der Revolution und die Organisatoren der Arbeiter- und Soldatenräte waren, liehen die Parole ihrer Bewegung vom deutschen Jurist Rudolf von Jhering ab.
Das retuschierte Foto hat daher nichts mit den Kommunisten zu tun. Im Gegenteil, stammt es von der Partei, die sie als ihre stärksten Konkurrenten ansahen, und deren Andenken sie nach dem Bürgerkrieg in Vergessenheit verurteilten. Und der Zweck der Retusche war auch nicht jene Art von Geschichtsfälschung, jene Orwellsche rückwirkende Änderung der Vergangenheit, die wir aus den manipulierten Fotos des Stalinismus kennen.
Denken wir hinein: Diese Fotos wurden direkt nach den wohlbekannten Ereignissen in Form von Postkarten verteilt. Ihr Ziel war die Propaganda, die Popularisierung der Errungenschaften der Revolution, und der hinten ihnen stehenden Partei. Sie ändern nicht die auf ihnen geschilderten Ereignisse, sondern in der Art der völkischen Luboks machen sie ihre Botschaft eindeutiger für die Empfänger, die mit diesem visuellen Formel vertraut sind. Eine der beiden retuschierten Inschriften macht nur deutlicher sichtbar die Parole, die die Soldaten in der Tatsache aufhielten, und die andere stellt diejenige dar, die irgendwo auf dem Bild stehen musste, um es klar zu machen, wem die Republik zu danken ist. Es könnte auch in einer Beschriftung dargestellt werden, aber wenn es für sie Platz am Ort des absolut irrelevanten Ladenschildes gibt, sei sie dort, wie auf den Luboks. So wie auf jenem anderen Bild aus der Dicescu Sammlung, dessen Postkartenversion auch durch eine Fahne mit der Inschrift Es lebe die Republik! für den Zweck der Eindeutigkeit ergänzt wurde.
„Absolut irrelevantes Ladenschild“, sage ich, obwohl in Kenntnis der späteren Jahrzehnten der russischen Revolution ist es prophetisch relevant, dass man „Uhren, Gold und Silber!“ am Platz der Parole der Roten Armee liest. Genau wie die Tatsache, das die dieses Streben verratendn Zeichen sorgfältig aus dem Bild retuschierte wurden, wie wir bereits darüber im Zusammenhang mit Jewgeni Chaldejs Reichstagfoto von 1945 geschrieben haben.
Auf dem in den ersten Tagen der Februarrevolution aufgenommenen Foto die für ein Gruppenbild auf dem Litejny Prospekt von St. Petersburg posierenden Soldaten jubeln mit gezogenen Schwerten die Revolution. Dies wird auch durch die Inschriften des Spruchbandes und der Fahne im Hintergrund betont: В борьбе обретешь ты право свое – „Im Kampf erringst du dein Recht“, und Долой монархию! Да здравствует республика! – „Nieder mit der Monarchie! Es lebe die Republik!“
David Kings große Übersicht, Stalins Retuschen: Foto- und Kunstmanipulationen in der Sowjetunion (1997) veröffentlicht jedoch auch eine frühere Version dieses Bildes.
Das Winken der Fahne ist hier viel natürlicher als auf dem vorherigen Foto, aber wir wissen nicht, was (wenn überhaupt etwas) auf ihr steht. Und was das Spruchband anbelangt, es stellt sich heraus, dass es auf die Stelle eines Ladenschildes retuschiert war, dessen ursprüngliche Inschrift war die folgend: Часы, золото и серебро – „Uhren, Gold und Silber.“
Bei David King endet hier diese schöne runde Geschichte als eines der frühesten Beispiele der kommunistischen Fotoretuschen. Es gibt jedoch einige zusätzliche Details, die Aufmerksamkeit verdienen.
Auf dem russischen Internet kann man schon das bisher unveröffentlichten Urstück dieses Bildes finden. Das ursprüngliche Foto zeigt deutlich, dass die Fahne tatsächlich eine Inschrift hatte, und sie wirklich begann mit Долой мо…
Und auf einem anderen Foto, das die gleichen Soldaten in einer anderen Pose zeigt, kann man nicht nur das vollständige Ladenschild, sondern auch die Inschrift der Fahne erkennen. Und sie ist die gleiche wie auf dem retuschierten Bild, wenn auch etwas fehlerhaft: Долой монорхію. Да Здравствует Демократическая Республика – „Nieder mit der Monorchie. Es lebe die demokratische Republik!“
Dass auch das vorherige Bild nicht vollständig retuschfrei ist, wird durch diese „ursprünglichere” Version mit handschriftlichen Beschriftung gezeigt, was darauf hindeutet, dass es war auch in der Ion Dicescu Sammlung bewährt.
Aber was ist die andere, auf das Foto retuschierte Inschrift: Im Kampf erringst du dein Recht? Wenden wir an den Klassiker für Hilfe:
„Korejko beobachtete aufmerksam Sinickys neues Rätsel. Auf dem schönen Bild der Gans gab es auch einen Sack, aus dem die folgenden Dinge kuckten: ein Buchstabe T, ein Tannenbaum, hinter dem die Sonne aufging, und ein auf musikalische Stangen sitzende Spatz. Das Rätsel endete mit einem Komma auf dem Kopf.
– Dies ist sicherlich kein Kinderspiel zu entschlüsseln – sagte Sinicky. – Sie müssen darauf für eine Weile den Kopf zerbrechen!
– Ach was! – antwortete Korejko mit einem Lächeln. – Nur diese Gans stört mich. Was auf der Erde hat die Gans hier zu tun? Aha! Verstanden! Fertig! Im Kampf erringst du dein Recht!
– Ja – sagte der alte Mann, frustriert, auf gedehntem Ton. – Wie haben sie es so schnell herausgefunden? Sie sind ein unglaublich talentierte Person. Man kann sofort sehen, dass Sie ein erstklassiger Buchhalter sind.
– Zweitklassiger – korrigierte Korejko. – Aber für wen haben Sie dieses Rätsel gemacht? Für die Presse?
– Für die Presse.
– Dann war es eine völlig sinnlose Arbeit – sagte Korejko. – Im Kampf erringst du dein Recht: das ist die Parole der Sozialrevolutionäre. Nicht geeignet für den Druck.“
Ilf-Petrov, Das goldene Kalb
Die Sozialrevolutionäre – die Esers (эсеры oder „S.R.s“) –, die bis zum bewaffneten bolschewistischen Putsch im Oktober die führende Partei der Revolution und die Organisatoren der Arbeiter- und Soldatenräte waren, liehen die Parole ihrer Bewegung vom deutschen Jurist Rudolf von Jhering ab.
„Im Kampf erringst du dein Recht.“ Sozialrevolutionäre Posters, 1917
Das retuschierte Foto hat daher nichts mit den Kommunisten zu tun. Im Gegenteil, stammt es von der Partei, die sie als ihre stärksten Konkurrenten ansahen, und deren Andenken sie nach dem Bürgerkrieg in Vergessenheit verurteilten. Und der Zweck der Retusche war auch nicht jene Art von Geschichtsfälschung, jene Orwellsche rückwirkende Änderung der Vergangenheit, die wir aus den manipulierten Fotos des Stalinismus kennen.
Denken wir hinein: Diese Fotos wurden direkt nach den wohlbekannten Ereignissen in Form von Postkarten verteilt. Ihr Ziel war die Propaganda, die Popularisierung der Errungenschaften der Revolution, und der hinten ihnen stehenden Partei. Sie ändern nicht die auf ihnen geschilderten Ereignisse, sondern in der Art der völkischen Luboks machen sie ihre Botschaft eindeutiger für die Empfänger, die mit diesem visuellen Formel vertraut sind. Eine der beiden retuschierten Inschriften macht nur deutlicher sichtbar die Parole, die die Soldaten in der Tatsache aufhielten, und die andere stellt diejenige dar, die irgendwo auf dem Bild stehen musste, um es klar zu machen, wem die Republik zu danken ist. Es könnte auch in einer Beschriftung dargestellt werden, aber wenn es für sie Platz am Ort des absolut irrelevanten Ladenschildes gibt, sei sie dort, wie auf den Luboks. So wie auf jenem anderen Bild aus der Dicescu Sammlung, dessen Postkartenversion auch durch eine Fahne mit der Inschrift Es lebe die Republik! für den Zweck der Eindeutigkeit ergänzt wurde.
„Absolut irrelevantes Ladenschild“, sage ich, obwohl in Kenntnis der späteren Jahrzehnten der russischen Revolution ist es prophetisch relevant, dass man „Uhren, Gold und Silber!“ am Platz der Parole der Roten Armee liest. Genau wie die Tatsache, das die dieses Streben verratendn Zeichen sorgfältig aus dem Bild retuschierte wurden, wie wir bereits darüber im Zusammenhang mit Jewgeni Chaldejs Reichstagfoto von 1945 geschrieben haben.
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