Ein Sommernachtstraum


„non si svende non si svende
neanche se non funziona
neanche se non funziona
niente saldi di speranze
niente saldi di esistenze“

„nicht zum Verkaufen
selbst wenn es nicht funktioniert
selbst wenn es nicht funktioniert
wir ziehen keine Bilanz
der Hoffnungen, keine
Bilanz der Existenz“
„Sowjetmacht plus Elektrifizierung machen keinen Kommunismus“ Ich hatte schon ein Paar Monate in Tiflis, in der Wohnung eines Freundes, in einem Viertel am Rande der Stadt verbracht. Kommunalka, Betonblöcke, mit Spray geschriebene Hausnummern, von der Zeit verfärbte alte Blocknummern. Von den zerbrechlichen Metallstützen der Balkonen hängende Unterwäsche und Bettwäsche. Streunerhunde. In ihren Autos schlafende Taxifahrer. Sommer. Männer unter einer Zeltbahn. Zigarettenrauch. Herum zerstreute Kippen. Rituelle Geräusche und Schreie. ნარდი, Nardi, Würfelbrett. Jungen scharen sich herum, in der Hoffnung, einige Tricks zu stehlen. Vom siebten Stock, wo meine Wohnung ist, kann man fast alles in fast dem ganzen Viertel stehen. Die Bäume, die Streunerhunde, das langsame suburbane Leben. Frauen kommen mit großen Einkaufstaschen. Sommer. Vierzig Grad in der Wohnung. Draußen, die müden Türme haben nichts zu verlieren als ihre elektrischen Leitungen. Seit einigen Tagen hat Tiflis unter den klebrigen Smog versunken. Der Aufzug, ლიფთი, kostet 5 Tetri jedes Mal. Man sagt, in den sowjetischen Zeiten ging das Geld an den „Blockvertrauensmann“, ein Administrator, der für die Wartung verantwortlich war. Inzwischen hat der Blockvertrauensmann verschwunden. Bleibt der Aufzug und die zehn Etagen der Kommunalka. Von hier kann man die Stadt nicht sehen. Das historische Zentrum ist zu weit. Der Blick reicht bis zu den Beton-Kommunalki von Didi Dighomi, die andere große Nachbarschaft am Rande von Tiflis, die in den letzten Jahren einen gewissen Impuls im Immobiliengeschäft hatte. Die Regierung hat sich verändert, aber der Bau der იყიდება Häuser geht weiter. Dies ist, wie sie genantt werden, weil an jedem Gebäude dieser Vorstadt, ob alt oder neu, steht, wie der Name eines anonymen Besitzers, die Inschrift იყიდება, „zu verkaufen“, und eine Telefonnummer. Die Peripherie entvölkert sich. Alte Familien gehen weg. Neue Familien kommen nicht. Die Wirtschaft geht nach unten. Der Sommer kommt. Der Zusammenbruch des Lari kommt, die Inflation kommt, die Arbeitslosigkeit, die Auswanderung. Georgien kommt. Die Stadt is weit, weit weg von meinem Turm. Keine großen Supermärkte. Nichts wie „Goodwill“ in Didi Dighomi, keine „Tbilisi Mall“. Die Stadt ist weit weg.

Das Wasserkraftwerk ist immer noch da. Langsames Tempo. Eine alte sowjetische Zementfabrik arbeitet immer noch. Verschiedene Schichten, verschiedene Jobs. Keine helle sozialistische Zukunft mehr. Letzter Halt.


“vali molto di più
di un aumento economico
meriti molto di più di un posto garantito
che non avrai che non avrai”

„du bist viel mehr wert
als eine wirtschaftliche Steigerung
du verdienst viel mehr
als einen garantierten Arbeitsplatz
den du nie haben wirst“
Das Gefängnis, die Bank, ein Lebensmittelgeschäft, und ein Obst- und Gemüseladen. In diesem Rechteck, in der unerträglichen Hitze des Asphalts in den Sommermonaten, in der Agressivität der Streunerhunde begann ich. Das Leben und später die Sprache zu lernen. Das langsame und harte Leben des Viertels. Die Schreie der Nachbarn, der Betrunkene, der Schlägereien. Den Viertel, der Tag für Tag leiser wurde. Abflüge. Der sowjetische Projekt hat die Kommunalki den Arbeitern des Wasserkraftwerks und deren Familien geplant. Dann hat die Sowjetunion plötzlich verschwunen, und mit ihr die Arbeitspläze. Die Straßen des Viertels haben Namen, die die Visionen und Bedeutungen einer gefallenen Ideologie und Epoche, die helle Zukunft der Technologie darstellen: „Energetikosi“.

Nun ist Google Maps viel präziser. Mann kann die Ausdehnung der Gebäude (alle gleich) klar sehen, nur die Straßennamen wurden geändert. Sie wurden dem neuen politischen und geschichtlichen Kurs der zeitgenössischen Georgien zugeschnitten. Namen georgischer Politiker und Leute, nicht unbedingt neu. Die Geschichte immer schwankt hier. Selbst in einer Vorstadtstraße kann man eine Gemeinschaft, eine Nation darstellen. Man kann Politik machen, und das Gefühl der Zugehörigkeit zu etwas größeren aufwecken. Nicht mehr zu einen Regime. Die Identitäten sind neu gegründet. Graffiti an der Wand, მიყვარხარ. Aufkleber, „Dinamo Tbilisi“. Frisch gemalte syntetische Futsalfelder, ein Geschenk der Sanierungspolitik des Ex-Presidänten Saakaschwili. Nur die Straßennamen bleiben, die Plakate sind zerrissen. Der Stern ქართული ოცნება, „der georgische Traum“ leuchtet schwach. Iwanischwili. Die Regierung ändert sich, ändern sich die Namen. Die kommunalki, die Streunerhunde ädern sich nicht. Die Generationen ändern sich. Wird es sich ändern?

Die Zitate sind aus „Manifesto“ von „CCCP - Fedeli alla linea“.


CCCP – Fedeli alla linea: Manifesto. Ostberlin, 1983


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