Die große Reise


„C’est de Paris la ville incomparable… Aus Paris, der unvergleichlichen Stadt läuft die große Reise ab, die durch alle großen Städte Europas fährt.“

Der mitteleuropäische Spieler guckt natürlich sofort an die Mitte der Karte… wo sich die Dinge furchtbar verwickelten. Ungarn scheint mit einem Vorlegemesser geformt worden sein, sein nördlicher Nachbar heißt Österreich statt Tschechoslowakei, während sein südlicher Nachbar ein großes unbenanntes Land ist, mit einem kleinen Serbien und Montenegro in der unteren Ecke.


Es braucht Zeit zu realisieren, dass dieses großes unbenanntes Land mit den slawonischen Pferden, dem bosnischen Wein, den Siebenbürger Zigeunermusikern, den österreichischen und galizischen Kiefern und dem Karpatenwolf ein und dasselbe Reich ist.

Die ursprünglichen dünnen Grenzen und farbigen Länder der von Léon Saussine, dem führenden Pariser Spielerzeuger an der Wende des Jahrhunderts veröffentlichen Karte vertreten Europa vor dem Ersten Weltkrieg, etwa zwischen 1908 (Bosnien ist bereits Teil von Österreich) und 1913 (die Sandžak ist noch Teil der Türkei). Jedoch scheint es so, dass das Spiel sich nicht ganz verkauft hat, offenbar weil die Spieler auf massive, staatlich finanzierte echte große Reisen in der ganzen Europa fuhren. Und als die friedliche Zeit der Brettspiele wiederkam, die Franzosen, wie in der Realität, hatten die Karte neu zu zeichnen.

„Wenn der Spieler eine Hauptstadt betretet, muss er dort bleiben, biss alle anderen Spieler noch einmal wieder werfen, denn man zum Besuch einer solchen wichtigen Stadt Zeit widmen muss.“

Die doppelte Anzahl von Hauptstädten wahrnehmbar verlangsamt die Fortschritte auf der Karte, ebenso wie in der Realität.

„Der Spieler, der es nicht sofort sagen kann, zu welchem Land die betreffende Hauptstadt gehört, wird drei Punkte verlieren. Zum Beispiel, bei dem Betreten Punkt Nummer 3: London ist die Hauptstadt von den Britischen Inseln, und so weiter, in allen Hauptstädten.“

Dass heißt, die Einwohner von Paris, der unvergleichlichen Stadt gaben sich eine schwere Lektion mit der Umgestaltung Europas und der Vermehrung der osteuropäischen Kleinstaaten. Kein Wunder, wenn in jener glücklicheren westlichen Hälfte des Kontinents, die die bunten dicken neuen Grenzen so auffällig entbehrt, Dialoge dieser Art sogar zehn Jahre später bemerkt wurden:

„Und wo leben diejenige Ungarn?
In Ungarn. Zwischen Österreich, Rumänien, der Tschechoslowakei und Jugoslawien.
Aber ich bitte Sie!… Diese Länder wurden von Shakespeare erfunden.“

Antal Szerb: The Pendragon Legend, 1934

„Der Weg kann nach Wunsch mit dem Fahrrad oder Automobil zurückgelegt werden.“

Der mitteleuropäische Spieler denkt mit Wehmut an die glücklichere westliche Hälfte des Kontinents, wo nach der großen Katastrophe musste man nicht alles von Null anfangen, Heimat oder Sprache wechseln, jahrelang in Waggonen wohnen, sondern nahm man erst die Vorkriegs-Brettspiele heraus, malte die neuen Grenzen auf, und dann ging alles auf seiner eigenen Weise, mit dem Fahrrad oder Automobil.

„Der Gewinner ist derjeniger, wer den großen Kreis zurücklegend zunächtst in Paris wiederkehrt. Der Gewinner bekommt alles.“


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