Das schwarzgelbe Tuch


Gespräch mit Robert Makłowicz über sein neues Buch Café Museum (Európa 2012, übersetzt von Noémi Kertész)

Acht Reisen. Nach Pápa, Győr und zum Fuß des St. Georgen-Bergs in Ungarn, wo der Autor bereit ist, den Anker zu werfen. Nach Wien, wo der polnische Reisender in einem österreichischen Nachtclub eine kleine Tschechoslowakei findet. Nach eine Weinprobe vom Neusidler See zu Oberösterreich. Zum Sachsenland in Siebenbürgen, in der Suche nach Wehrkirchen und gute Pálinka. Aus Bulgarien nach Debrecen, durch ein tief beeindruckendes Hotel im Süden Rumäniens. Zum Spa in Gyula, wo der Autor seinen Kraft mit den lokalen Melonenverkäufern mißt. Irgendwohin nach Ungarn, ein Mangalica-Schwein zu töten. Durch Sarajevo und Bosnien nach Montenegro. Und schließlich zur dalmatischen Insel Molat, wo der Autor zur Ruhe kommt. Acht Reisen, ohne das einzige Land zu verlassen, von dem der Autor sich Bürger hält: die österreich-ungarische Monarchie.

„Ich gehe einfach wohin ich sehe. Ich rolle wie eine Billardkugel auf dem schwarzgelben Tuch, genannt Mitteleuropa. Ich hatte viele solchen Reisen, manchmal entlang einer unberechenbaren Strecke fortläufend, wie die Kugel nach dem Stoß eines Anfängers, und manchmal das Ziel auf einem geraden Weg findend, als ob ein Champion mit mir spiele. Dieses Buch ist über einige dieser Reisen.”

Die acht Reisen, wie es mit den Reisen schon üblich ist, wird dann mit Dutzenden weiterer Geschichten angereichert. Mit Geschichten, die entlang der Straße erfolgen. Mit früheren oder späteren Geschichten. Mit Einsatzgeschichten, die dem Autor im Laufe der Erzählung einfallen. Mit kurzen historischen Beschreibungen, da der Autor auch ein Historiker ist, und mit gastronomischen Zwischenspiele, denn er auch ein Gourmet ist, sowie der Moderator der kulinarischen Show des größten polnischen Fernsehens. Und mit kleinen, mit wenigen Strichen aufgeskizzierten Bildern, mit beiläufig fallengelassenen präzisen und einpragsämen Metaphern.

„Der Bahnhof von Sarajevo steht noch unverändert, wenn auch etwas vernachlässigt. Er überlebte die ersten und die zweiten Weltkriege, überlebte Jugoslawien und den Bürgerkrieg, er steht da, trotz der Zeit, genau wie die Bahnhöfe von Czernowitz, Przemyśl, Split oder Stanisławów, als eine Verneinung von allem, was danach kam.”

Die Schnur der Geschichten schlängelt sich mit der Unberechenbarkeit der Erinnerung, die acht Reisen werden zum achtzig, die den ganzen Raum und Zeit der Monarchie umspannen, über deren viele koexistierenden Völker und Kulturen der Autor, selbst ein Erbfolger polnischer, armenischer, ruthenischer und ungarischer Großeltern aus Lemberg, mit großer Freude, Humor und Liebe schreibt.

„Obwohl Polnisch ist meine Muttersprache, ich mag es, herum mich andere Sprachen zu hören. Ich bin glücklich, wenn Kirchen mehrerer Konfessionen an einem Ort stehen, und noch glücklicher, wenn ich sie alle offen finde. Grenzüberschreitung ist meine Lieblingsbeschäftigung seit der Kindheit, während die bloße Existenz von Grenzen mich fluchen macht. Als ich schon alt genug war, um zu entscheiden, wo zu sein, und die Grenzen, nach dem Willen des Schicksals, durchlässig gewordeten, von Zeit zu Zeit unternahm ich eine Reise, die keinen anderen Zweck hatte, als nur andere Sprachen zu hören, andere Suppen zu versuchen, andere Getränke zu schmecken, andere Landschaften zu sehen. Um mein Gesicht in einem anderen Spiegel zu sehen. Dies ist absolut notwendig, denn der Spiegel auch lügen kann, und wenn du dich dein ganzes Leben lang in einem einzigen Spiegel beobachtest, wirst du schließlich nicht wissen, wie du wirklich aussiehst.”

Die Fülle der für die ehemaligen Monarchie so charakteristichen absurden Geschichten wird immer wieder in einer appetitanregenden Weise von den mit einem barocken Reichtum beschriebenen Speisen und Getränken kontrapunktiert und zusammengefasst. Der Autor ist vorsichtig mit dem Gleichgewicht zwischen den beiden, damit das Buch nicht in die modische Gattung der gastronomischen Reise überkippt, obwohl der Leser – vor allem beim Lesen über die leicht überprüfbaren Platten seiner eigenen Heimat – manchmal findet die Magie der Anhäufung der Lebensmittelsnamen einigermaßen verdächtig.

„Ich fuhr nach Tapolca, um einen Teller ausgezeichnet bereiteter Hahnhoden-Eintopf zu verspeisen, und ich fühlte, dass die Zwiebel von Makó trotz der Mode der neuen Zeit nicht in Sonnenblumenöl, aber in Mangalica-Schwein-Fett angebraten wurde, und so fügten sie das Paprikapulver dazu. Dies ist, wie es die leckerste wird, auch wenn nicht die gesündeste. Ich schmeckte es still, meine Seele vor Freude springend, weil die ungarische Speise mich sehr zufrieden machte, während ich war schon glücklich von dem, was für mich am nächsten Tag erwartete. Das ist es, gab ich mich den Hahnhoden über, aber in meinem Kopf machte sich schon Nest die ajdova, das ist, Buchweizen, die pehtranova potica, das süße Estragon-Laib, die istrischen Schinken, die idrijski žlikrofi, das ist, idrische Kartoffelravioli, und sogar die ajdova kaša z jurčki, das heißt, die Buchweizen mit Steinpilzen. In der Tat kann ich nicht für eine lange Zeit mit dem zufrieden sein, was eine einzelne Nation erfunden hat.”


Robert Makłowicz bei der Präsentation seines Buches im Central Café von Budapest.
Rechts, sein Gesprächpartner Balázs Lévai, links seine Dolmetscherin, und
noch links Schauspieler Krisztián Kolovratnik. – Das Foto vurde
unserem Blog von Péter Vinnay gesendet – vielen Dank!


Das Buch, als wir in unserer Ankündigung in der letzten Woche geschrieben haben, wurde, in Harmonie mit seinem mitteleuropäischen Thema, im Central Café von Budapest vorgestellt vom Author, der hat an die Fürsprache der Polnischen Instituts in Budapest am selben Morgen ein Exklusiv-Interview unserem Blog gegeben. Nachdem aus seinem Buch seine Zuneigung für hausgemachte Weine gelernt habe, bereitete ich mich für das Interview mit einer großen Flasche Rotwein von Misi Paulovits, die von Jahr zu Jahr regelmäßig den ersten Preis beim Weinwettbewerb der lokalen Bauern in meinem Dorf Csömör gewinnt. Robert Makłowicz war sehr zufrieden mit der neuen Entdeckung, die auf einmal gab den Auftakt zum Interview:

• Was ist Ihr Lieblingsgetränk in der ehemaligen Monarchie?

Das ist eine Fangfrage. In einem früheren Interview wurde ich gefragt, was ich für das letzte Abendmahl essen würde, wenn ich wüßte, dass ich morgen sterben soll. Nun, man kann eine solche Frage nicht beantworten. Dennoch, wenn ich vor der grausamen Wahl gestellt wäre, von nun an in meinem ganzen Leben nur eine Art von weißen Wein zu trinken, wäre es sicherlich ein Wein von Somló in Ungarn. Selbst jetz muß es zu Hause immer sowohl Grüner Veltliner und Somlói Juhfark geben. Sicher, es gibt auch der St. Georgen-Berg und Badacsony, mit phänomenalen Weine, aber der Geschmack des Somló-Hügels ist einzigartig und unverwechselbar. Man kann die Mineralien, den Geschmack der Erde fühlen. Wenn ich den irgendwo in der Welt mit verbundenen Augen schmeckte, würde ich den sicherlich erkenen. Und der ganze Hügel ist so klein, dass er kann nicht mit großen Weingüter ruiniert werden. Ich bin sicher, dass es innerhalb von einem Dutzend Jahren so berühmt wird, wie, sagen wir, der Burgunder.

• Ich erinnere mich, dass am Ende der achtziger Jahren, als ich oft für Italiener in Budapest übersetzte, wollten sie den Juhfark im Restaurant immer zurücksenden, sagend, dass es schimmelig wäre, und der Kellner hatte zu erklären, dass es der spezielle mineralische Geschmack des Weines wäre. Ist es möglich, dass die Grenzen der Monarchie sind dort, wo dieser anspruchsvolle Geschmack noch hochgeschätzt ist?

Sehen Sie, ich habe niemals daran gedacht, obwohl es ist wirklich etwas Wahres daran. Es ist wahrscheinlich, dass wenn die Italiener aus dem Trentino oder Triest kämen, hätten sie den Juhfark anders bewertet! (lacht)

• Wenn Sie einmal den St. Georgen-Berg erwähnen: bedauern Sie nicht, dass auf ihrem dortigen Landgut, das Sie in einem solchen inspirierten Weise beschrieben, könnten Sie wegen den zu teueren Plänen nicht ein Haus aufbauen?

Natürlich bedauere ich es. Aber nichts ist verloren. Das Grundstück ist noch da, mit einem schönen Blick auf den St. Georgen-Berg. Noch  ist alles vor mir.

• Wenn man so viel reist, und im so einen weiten Bereich, ist ein fester Besitz, ein Haus, wohin man immer wieder zurückkehren und dafür sorgen muss, keine Belastung?

Ganz im Gegenteil. Das Schiff muss auch manchmal Anker werfen, um zu ruhen. Wer viel reist, muss von Zeit zu Zeit irgendwo Anker werfen. Ich habe es schon in Krakau getan, wo ich für immer bleiben wird. Aber es ist sehr gut, einen anderen Anker, ein anderes Hauptquartier in Dalmatien, und ein drittes in der Mitte der ehemaligen Monarchie, am Ufer des Plattensees zu haben. Dabei habe ich in Dalmatien schon genug kroatisch gelernt, jetzt ist es Zeit, auch ungarisch zu lernen.

• Könen Sie irgendwelche geimeine Züge benennen, die die ehemaligen Regionen der Monarchie miteinander verknüpfen, und sie von anderen ehemaligen Ländern trennen?

Nun, um ein Beispiel auch der Kochkunst zu nehmen, als ich das erste Mal in Warsaw war – ich musste zwölf oder dreizehn Jahre alt gewesen sein –, war ich schon groß genug, um die Stadt allein zu gehen. Meine Eltern gaben mir etwas Geld, und ich war noch zu jung, um es auf Alkohol auszugeben, so ging ich in die Konditorei. Ich suchte etwas, das ich in Krakau immer kaufen wollte, und die ich früher schon auch in Wien und Budapest gesehen hatte. Ich fragte, ob sie Pischinger Torte haben. Sie haben nicht einmal gewußt, was es war! Denn Sacher? Oder Dobos? Sie hatten es nicht. Dann erkannte ich zum ersten mal, was für einen großen Unterschied zwischen uns, dem ehemaligen Galizien und dem ehemaligen Polen gab, dass diese Dinge ihnen unbekannt waren. Es ist genug, um fünfzehn Kilometern nördlich von Krakau zu gehen, und das Repertoire der Konditoreien völlig verändert sich. Und im allgemeinen sind dort Konditoreien viel weniger wichtig als in der ehemaligen Monarchie, wo jede Stadt war voll von ihnen, und von den Cafés. In Łódz, zum Beispiel, haben sie überhaupt keine Cafés, nur Kneipen.

Oder es gibt zwei kleine Städte, die beide nur dreizig Km von Krakau entfernt, aber die eine im Norden, und die andere im Süden: Skała und Myślenice. Es lohnt sich, die beide aufeinander zu besuchen, als die Abstand zwischen ihnen nur eine Stunde ist. Der Hauptplatz von Myślenice ist wunderschön, mit drei- bis viergeschossigen Häusern und einem Rathaus, wie überall in Ungarn, Böhmen oder Dubrovnik. Skała ist ein Alptraum, und nicht als ob sie vernachlässigt wäre, denn Polen entwickelt und blüht sich, sonder weil das Stadtgefüge noch in der russischen Ära entstand. Dies ist der beste Vergleich, um den Unterschied zwischen den Mentalitäten der beiden Reiche zu sehen. Wenn ein Pole aus einer anderen Region sagt es mir, dass ich die ehemalige österreischische Invasoren lobe, nehme ich ihn einfach zuerst dort, dann hier, um es für sich selbst zu beurteilen. Und dann höre ich diese Anklage von ihm nicht mehr.

• In der Geschichte von Urziceni beschreiben Sie diesen erodierten südrumänischen Landschaft als „es blieb flach, aber Siedlungen erschienen auf ihn, und eine Menge von rostangefressenen Resten, in das Nichst laufende Rohre, krumme, die ihre Eltern, Kommunismus und Autarkie betrauerten, waise Fabrikschornsteine in der Mitte von sozialistischen Wohnblöcke, in einem Wort alles, was Andrzej Stasiuk so sehr mag.” [aus dessen Buch Auf dem Weg nach Babadag haben wir schon ein Paar Mal zitiert.] Aber Stasiuk beschreibt nicht nur Urziceni in dieser Weise, aber auch alles andere, die gleichen Orte und Kneipen, die Sie als so freundlich und menschlich präsentieren. Welches ist dann die Wahrheit?

Beide (lacht). Die Frage ist, was man sucht, und er wird das finden. Stasiuk sucht die abgeworfenen, an den Rand gestoßenen Menschen, die erodierten Landschaften, die Orte, die nach dem Wahnsinn des Ceaușescu dort blieben. Dabei ist Stasiuk interessiert sich absolut nicht für die Städte, nur für die Dörfer, die verlassenen Industrielandschaften. Aber die grundsätzliche Frage ist, was Sie suchen. Auch in Budapest kann man schreckliche Orte und wunderschöne Orte finden, und mann kann die Stadt nur auf die eine oder die andere konzentrierend präsentieren.

• In der Beschreibung der Lebensmittel spielen Sie immer mit einer Art von Namenmagie, mit langen Listen von Namen, der Speichel läuft in den Mund des Lesers, er wollte sofort etwas essen. Allerdings ist wenig über die Geschmäcke der Speisen erzählt.

Und absichtlich so. Da ich bin als eine über die Küche schreibende und sprechende Person bekannt, wollte ich in diesem Buch mit diesem Klischee brechen. Ich wollte nicht einen kulinarischen Ratgeber schreiben, ich erwähne die Speise um die Kultur zu beschreiben. Natürlich konnte ich damit nicht vollständig brechen, da es schwierig ist, über Mitteleuropa durch Weglassen der Geschmäcke zu schreiben.

• Haben Sie einen Lieblingsplatz in der ehemaligen Monarchie? Welche Orte finden Sie am liebsten?

Ich mag am meisten die Orte, die, auch wenn sie sich jetzt im Rahmen von Nationalstaaten befinden, weiterhin multiethnisch bleiben, denn aus meiner Sicht ist dies eine der kreativsten Kräfte. Paradoxerweise habe ich eine der besten ungarischen Küchen in der kroatischen Baranya gefunden, selbst in einer Hitze von 40 Grad auf offenem Feuer gekocht, eine echte ungarische Küche, aber mit einer kroatischen Wendung. Oder die slawonische Kulen ist nicht anderes als die ungarische Salami, aber in einer sehr kreativen Weise weiter entwickelt.

Für mich war der größte Wert der Monarchie, dass es keine Grenzen gaben, dass man konnte sich freilich aufmachen, um den Anderen, den Nachbarn zu besuchen, der eine andere Sprache sprach und anders kochte, aber in demselben Geschäft einkaufte. Die Kultur ist wie die Ernte: wenn man das Feld immer mit dem gleichen Samen ansäet, wird es eine Monokultur, ein erschöpftes Brachfeld geworden. Wenn die Nationalstaaten nicht wissen, dass wir die Komponenten eines größeren gemeinsamen Kultur sind, werden sie auch öde und arm. Dies ist, warum ich so glücklich auf diesem Schachbrett, die einst die Monarchie war, ab- und zugehe, weil ich nicht will, dass die Kultur in meinem Kopf zu einem Brachfeld würde.

„Ich lebe sowohl hier, in Dalmatien, und in Krakau, es gibt eintausend und dreihundert Kilometern zwischen meinen beiden Heimen, und es ist auch Budapest, Wien und Olmütz, Cieszyn und Zagreb dazwischen. Ich lebe in Polen und Kroatien, und ich bin zu Hause in beiden Orten. Ich schätze die Fische der Adria und die essbaren Meeresfrüchten ebenso wie die große und glückliche Familie von Eintöpfen, die damit verbundene edle Nation der Gulasche, und die gedankenlose Armee der verschiednen Knödeln. Ich mag die geröstete Truthahn mit Mlinca in Zagreb, die Ente von Krakau mit Steinpilzen, und ich schätze die lozova rakija, das heißt, den Trester ebenso wie den kontinentalen Slibowitz. Immerhin, was kann es schädigen?”


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