Im Osten nichts neues


„Die Juden tragen die heilige Thora vor dem Erzherzog Friedrich in P… / 1915-1916”

Es ist nicht so einfach, den Ortsnamen zu lesen, nicht wahr? Deshalb habe ich diese Postkarte von Andrea Deák, und sie von einem Sammler Freund bekommen, um zu versuchen, es festzustellen, wo das ungewöhnliche Ereignis stattfand.

Der Erzherzog Friedrich, der dritte und letzte Herzog aus dem Teschener Zweig der Habsburger wurde von Franz Joseph am 11 Juli 1914 Armeeoberkommandant der Monarchie ernannt. Friedrich, während er die tatsächlichen operativen Entscheidungen dem Chef des Generalstabes, Hötzendorf überließ, haltete es für seine eigene Hauptaufgabe, die Soldaten durch seine persönliche Anwesenheit zu fördern, damit er fast stetig die Front besuchte. In dem oben genannten Zeitraum von 1915-16 vor allem die Ostfront, wo die deutsche und die österreichische Armee derzeit die russischen Kräfte aus dem Gebiet von Galizien zurückdrängte. Es ist also irgendwo hier, dass wir den Ort suchen sollen, der nur Podhajce – in der Schreibweise der Postkarte, Podhajcze – sein kann, westlich von Tarnopol, jetzt Підгайці in der Ukraine.

„Erzherzog Friedrich in den kriegsverwüsteten Gebieten. Der Oberbefehlshaber der österreichisch-ungarischen Armee (×) hat kürzlich jene Ortschaften in den Karpaten, die am meisten vom Krieg geleidet haben, besucht. Auf seinem Weg, die arme Bevölkerung überall begrüßte den Oberbefehlskommander mit Liebe und Vertrauen. In unserem Bild empfingt der Erzherzog eine Ruthenische Delegation und spricht mit ihrem Führer, der Dorflehrer. Hinter dem Erzherzog, Lieutenant-General Benigni. Tolnai Világlapja, 1915. november 11.

Katasterkarte von Podhajce, 1846, Detail. Die vollständige, zoombare Karte finden Sie hiere

Dies ist bestätigt durch die Tatsache, dass Podhajce eine wirklich wichtige jüdische Siedlung war. Ihre Geschichte wird im Memorial Book of Podhajce (1972) veröffentlicht. Ihre Rabbiner wird zuerst im Jahre 1602 erwähnt, also die Gemeinde wurde warscheinlich im späten 16. Jahrhundert, in der Zeit der großen Ashkenazi-Einwanderung nach Galizien und Podolien gegründet. Da die Region der südlichen Podolien mit Kamenez-Podolsk als Zentrum war Teil des Osmanischen Reiches zwischen 1667 und 1669, wurde ihre jüdische Bevölkerung durch die damals hier angesiedelten sephardischen Juden vom Pseudo-Messias von Smyrna, Schabtai Zwi beeinflusst, dessen Bewegung gerade dann, zwischen 1665 und 1676 ihre Blütezeit lebte. Podhajce wurde zum galizianischen Zentrum der neuen Lehre, so viel, dass ihre Spuren bis zum Holocaus überlebten. Dann, in den späten 1700er Jahren wurde es auch zum ein wichtiges Zentrum der Bewegung von Jakob Frank, ein Erneuerer der Lehre von Schabtai Zwi. Im frühen 18. Jahrhundert lebten zwei große Baal Shem, das heißt, kabbalistische Ärzte und Wundertäter in der Stadt, Rabbi Shmuel Yaakov Falk und Rabbi Moshe David, die aber beide wegen des Verdachts von Sympathien mit Schabtai Zwi nach London fliehen, wo sie weiterhin ihren Beruf für mehrere Jahrzehnte trieben. Zur gleichen Zeit lebte in dieser Region der größte Baal Shem, der Begründer des Chassidismus und ein erklärter Feind der Frankisten, damit sowohl Chassidismus als die gegenläufige Tendenz, die Misnagdim glühende Befürworter in der Stadt fanden: es scheint, dass die Juden von Podhaje alles glühend taten. Kein Wunder, dass in Podhajce auch viele große Rabbiner und Talmud-Gelehrten geboren wurden und arbeiteten. Vor dem Zweiten Weltkrieg mehr als 40% der Stadt, etwa 3000 Einwohner Juden waren. Ihre beeindruckende, in 1640 erbautete Festung-Synagoge, und ihr schöner, im 17. Jahrhundert gegründeter Friedhof bis heute überlebten; die chassidische Gemeinde von Podhajce lebt jetzt in New York und Jerusalem.


Wann wurde dieses Foto aufgenommen? Der Zeitraum von 1915-16 kann wohl um die Hälfte eingegrenzt werden. Der deutsch-österreichisches Gegenangriff schob den russischen Front zur  Riga-Pinsk-Tarnopol-Linie bis September 1915, aber die im Juni 1916 angesetzte Brusilov-Offensive schob in wieder weit über die Stadt zurück. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Erzherzog die kürzlich eroberten Gebiete im Herbst 1915 besuchte, und es war dann, dass die Vorgesetzten der jüdischen Gemeinde von Podhajce vor ihm ausrückten. Wenn Sie eine genauere Datum auf der Grundlage des Großen Krieges in Schrift und Bild, oder jeder anderen Quellen kennen, sagen Sie es uns!

Update: Tamás Deák zählte es aus, dass, laut der Steffner Tábori Újság, am 4. November war Erzherzog Friedrich noch in der italienischen Front (und im Oktober in Belgrad), während am 13. November on 4 November, Archduke Friedrich was still in the Italian front (and in October in Belgrade), while on 13 November reiste er bereits weiter zu den besetzten russischen Gebieten. Laut der 11 November Ausgabe der Tolnai Világlapja – siehe Abbildung oben – hat er „vor kurzem” die eroberten galizianischen Gebiete besucht. Wenn wir die Möglichkeit eines Samstags ausschließen, wird das Datum der Veranstaltung wahrscheinlich 9 November 1915.


Von ungarischen Soldaten gesandte/gemalte Postkarten aus Podhajce, zwischen April und Juli 1916 (Aus Auktion-Sites)





Eine Postkarte aus Podhajce mit der Synagoge. Zeichnung des großen ungarischen Avantgarde-Maler jüdischer Herkunft, Bertalan Pór, der als ein Front-Zeichner in dem Ersten Weltkrieg arbeitete


Und warum haben sie mit der Thora-Rolle vor dem Oberbefehlshaber der Armee ausgerückt? Was war ihre symbolische Bedeutung? War es eine gängige Praxis in der Zeit? Allerdings hat Erwin A. Schmied in seinem Juden in der K. (u.) K. Armee, 1788-1918 (Eisenach: Österreisches Jüdisches Museum, 1989) zwei weitere ähnliche Fotos veröffentlicht von der galizianischen Front. Wir freuen uns auf die wohlinformierten Ergänzungen unserer Leser.

„Die Begrüßung der k. u. k. Truppen und hoher Würdenträger durch die örtliche jüdische Bevölkerung gestaltete sich meist besonders feierlich. Im Bild die Begrüßung des höchsten Militärgeistlichen in der k. u. k. Armee, des Apostolischen Feldvikars Emmerich Bjelik, durch die jüdische Gemeinde eines Ortes an der Ostfront, im Bereich des Korps Hofmann (später XXV. Korps.) (Foto Kriegsarchiv Wien)”

„Das Verhältnis zwischen der jüdischen Bevölkerung im Osten und den k. u. k. Soldaten war meistens gut; die Habsburger galten als „Beschützer” der Juden. Im Bild Kaiser Karl, beim Besuch einer jüdischen Gemeinde im Osten, ca. 1917.”

Update: Das Yiddish Florilège hat ein neues Foto über den Besuch von Kaiser Karl am Ostfront veröffentlicht. Auf diesem Foto sind es die Juden von Kolomea, die ihn mit der Thora begrüßen. Tamás Deák hat nachgewiesen aufgrund der Streffleur Katonai Lapja, dass der Besuch am 4. August 1917. stattfand. Dies kann auch das vorige Bild datieren.


Update: Tamás Deák hat einige Fotos aus der zeitgenössischen Tolnai Világlapja über die Begegnung der Armeen der Zentralmächte mit den galizianischen Juden gesendet. Selbst wenn wir den zwangsweise propagandistischen Ton der Bildunterschriften abrechnen, war die Russische Besatzung wirklich ein großer Schlag gegen die jüdische Bevölkerung, auch laut der zeitgenössischen jüdischen Quellen; und wie wir aus den Schriften von Joseph Rot weissen, die von den erwachenden Nationalismen bedrohten galizianischen Juden wirklich sahen die Garantie für ihre Gleichstellung in der multinationalen österreichischen Monarchie.

„Auf dem Weg der verlassenen Heimat. Eine polnisch-jüdische Familie in Neu-Sandec zurückkehrend. Arme polnischen Juden, sie leiden am meisten am Krieg. Auf die Nachrichten von der Annäherung der Russen liefen sie eilig, da sie wissen, das die Kosaken ihr am wenigsten gnaden. Aber sobald sie hören, dass unsere Truppen die Russen abgedrängt haben, sie beeilen, ihre schlechten Sachen auf dem Wagen zu laden, die ganze Familie sitzt darauf, und hoffnungsfreudig und glücklich eilen sie wider zum verlassenen Nest. Ihr Schicksal ist sicherlich nicht beneidenswert.” Tolnai Világlapja, 21 January 1915

„Deutsche Offizieren an der Spitze ihrer Truppen marschieren in eine eroberte Stadt in der russischen Polen. In unserem Bild marschieren die deutschen Soldaten entlang der jüdischen Straße. Die russischen Juden stehen vor ihren elenden Häusern, und gerne begrüßen sie die siegreichen Truppen. Die Juden sind besonders froh, wenn die Russen, von denen sie viel leideten, verlassen ihre Städte. Es ist eine wahre Erlösung für sie, wenn die Deutschen die Stadt besetzen.” Tolnai Világlapja, 3 June 1915

„Unter Ruinen in der russischen Polen. Nachdem unsere Soldaten triumphierend in die von dem zurückziehenden Russen zerstörten Stadt einmarschierten, verwendeten unsere Offiziere ihre Ruhezeit, die Stadt zu besuchen. Die polnischen Juden umgeben die Offiziere mit Liebe, und sie führen sie durch die zerstörte Stadt.” Tolnai Világlapja, 9 December 1915

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