Die Skadarlija, Belgrads Partystraße steigt von der Altstadt in die Vororte ab. Das untere Ende der Straße am Markt ist durch einen Brunnen in osmanischen Stil gekennzeichnet – eine Kopie des Sebilj in Sarajevo. Am oberen Ende steht eine Gedenksäule, derer langer Text die großartigen Kafanas – Cafés, Musikkneipen – auflistet, die im vergangenen Jahrhundert in der Straße standen, sowie die Namen von großen Dichtern, Malern, Musikern und anderen Intellektuellen, die die Kafanas in Belgrad und im ganzen Land berühmt gemacht haben.
Einige Kneipen sind auf andere Weise berühmt geworden. In der Nähe des oberen Teils der Skadarlija stand die 1860 gegründete Kafana namens Kod Albanije, wo die Attentäter von Franz Ferdinand in Sarajevo “ihre Pläne schmiedeten”. Nachdem wir ihrem Oeuvre in Sarajevo schon einen speziellen Bildpost gewidmet haben, begnügen wir uns hier mit einem Bild, das den Belgrader Brückenkopf zeigt. In 1939 wurde die Kafana durch die Palata Albanija ersetzt.
Nachdem die Mauern der Festung von Belgrad im frühen 19. Jahrhundert abgerissen wurden, ließen sich zuerst Zigeuner hier nieder, entlang des Bibijin-Baches, der zwischen den Mauern hinunterlief und auch die Spur der Skadarlija bestimmte. Das Zigeunerviertel, ähnlich wie das Albaicín in Granada, Rixdorf in Berlin oder Tabán in Budapest, entwickelte sich bald zu einem bohemischen Wohngebiet und mit der Zeit zu einem vorstädtischen Partyviertel, weit weg von der eisernen Faust der großstädtischen Regularien. Seine Entwicklung bekam durch die Errichtung der großen Brauerei der tschechischen Firma Bajloni im unteren Teil der Straße in 1892 einen weiteren Schwung, die die Kafanas ständig mit frischem Aleksandar-Bier versorgte.
1945 kam es zur Verschmelzung der Bajloni mit der staatlichen BiH Brauerei, die Anfang der 2000er Jahre pleite ging. Der riesige Block der Fabrik wurde kürzlich für neue Zwecke umgebaut. An der Seite der Skadarlija Straße wurde das Bohemian Hotel eröffnet, das mit seiner erhaltenen Fabrikfassade und seiner bemalten Retro-Architektur sowie mit der Verwendung industrieller Elemente in den Innenräumen und Zimmern das visuelle Erbe des Viertels aufrechtzuerhalten strebt. Und innerhalb des Fabrikblocks, in den Korridoren, Innenhöfen und Lagerhäusern entwickelte sich ein scheinbar spontaner Labyrinth kleiner Bars, der das oldschool Unterhaltungsangebot der Straße mit dem charakteristischen Ruinenkneipe-Gefühl der letzten Jahrzehnte vervollständigt.
Die vom Covid auferlegte Zwangsruhe bietet für Renovierungsarbeiten im Skadarlija-Bezirk gute Gelegenheit. Das angeblich hundert Jahre alte Kopfsteinpflaster wird neugelegt, und die Einrichtung der Ruinenkneipen überdacht. Ein Spaziergang durch den einst geschäftigen, jetzt leeren Komplex bietet ein gruseliges Urbex-Erlebnis. Es ist, als würde man unter den Rippen eines längst ausgestorbenen gigantischen Tieres mit unbekannter Anatomie umherwandern. Was würde Berlin für solch eine Szene nicht geben, die so prächtig ruiniert und gleichzeitig mit so gut überlegter Spontaneität ausgestaltet ist!
Slonovski Bal: Papazička Rečenica. Vom CD Slonovski Bal: Džumbus (2006)