Lebkuchenhäuschen in den flüsternden Kiefern



Zehlendorf, Waldsiedlung an der Krummen Lanke. Vollbild
An der U-Bahn Endhaltestelle Krumme Lanke, vor dem Verlassen der Stadt hinter uns und dem Absteigen in die Kiefer der großen Grunewald-Seenkette, nur ein paar Minuten zu Fuß finden wir eine gemütliche Waldsiedlung von traditionellen, winzigen deutschen Dorfhäusern mit kleinen Fenstern und hohen Dächern. Die leichte Anfahrt ist nicht zufällig. Die U-Bahn-Linie wurde genau wegen dieser Siedlung bisher hergeleitet. Die in der malerischen Umgebung des Kiefernwaldes gelegene exklusive kleine Häusergruppe wurde ursprünglich für SS-Offiziere und ihre Familienangehörigen gebaut.

1937 richtete SS-Reichsführer Himmler ein Brief an das Reichsarbeitsministerium, laut dem es seine alte Wunsch war, den in der drei Berliner SS-Zentren arbeitenden Offizieren gesunde und ausreichend geräumige Wohnungen in einer geschlossenen und abgesonderten Wohnsiedlung zu sichern. Auf Grund des Gesetzes zur Verminderung der Arbeitslosigkeit von 1937 hat das Ministerium billige Arbeitskräfte für die Immobilienentwicklung gesichert. Die daraus resultierende Wohnsiedlung ist ein gutes Beispiel für den anderen charakteristischen Trend der Architektur der NS-Zeit neben der Speerischen Monumentalität. Die durch die Propaganda des NS-Regimes unterstützte patriotische Stil fußte auf der Stuttgarter Schule, die einen konservativen Ansatz hatte, aber den Historismus ablehnte, und einen klaren Kontrapunkt des Neuen Bauens der Weimarer Republik darstellte.

Die dorfmäßige Häusergruppe, die reichlich aus den vom Regime favorisierten Elementen der Volksarchitektur schöpfte, wurde von Hans Gerlach in den Studios der Baugenossenschaft GAGFAH geplant, mit der Anwendung der in den zwanziger und dreißiger Jahren entwickelten Bautypen. Im Gegensatz zu den vorherigen GAGFAH-Bebauungspläne, die durch besondere Gärten umgenommene Einfamilienhäuser enthielten, Gerlach differenzierte die Gebäude nach der offiziellen Hierarchie, behandelte das Gebiet als eine parkähnliche Einheit und entwickelte an das Gelände anpassenden Straßenlinien.

Der aktuelle Lageplan (vergrößern). Durch Bewegen der Maus über die Straßennahmen können Sie die ehemaligen und moderne Namen lesen

Die politische Ideologie bestimmte nicht nur die Fassaden und Formen der einzelnen Gebäude, sondern auch den idealisierten dörflichen Charakter und die großen, meist fünf- oder sechs-Zimmer-Wohnungen, die das NS-Familienideal unterstützten: die zu Hause arbeitende Hausfrau und Mutter, und die Erziehung von je mehr Kindern mit wertvollen und kontrollierten arischen Genomen.

Diese idyllische familienzentrierte Konzeption fand eine positive Resonanz in weiten Kreisen der Bevölkerung. Meinungsumfragen zufolge, wenn die Mehrheit der aktuellen deutschen Bevölkerung behauptet, dass die NS-Zeit auch positive Eigenschaften hatte, denken sie vor allem an das System der Familienunterstützung. Aber sie neigen dazu, zu vergessen, dass die Bevölkerungs- und Familienpolitik mit einem Fokus auf den Krieg und auf der Grundlage von Rassismus wurde als ein einziges Set angeboten, dessen Ziel es war, eine schelle numerische Überlegenheit zu schaffen. Neben der Unterstützung der arischen Großfamilien enthielt es auch die Errichtung von Zuchthäuser für ledige arische Mütter, den Numerus Clausus der Frauen, die Zwangssterilisation der vermutlich Erbkrankheiten tragenden Frauen und die Tötung der mit solchen Krankheiten geborenen Kinder, die Todesstrafe für Abtreibung, und viele anderen ähnlichen Maßnahmen. Schließlich führte sie direkt dazu, dass während es zwar äußerst günstige Position einigen Gruppen gewährte, andere konnten nicht einmal ihr bloßes Leben behalten.

Darüber hinaus hatte die GAGFAH-Story auch seine dunklen Flecken. Das Unternehmen verwendete die vom Reichsarbeitsministerium gesicherte Zwangsarbeit der Buchenwald-Häftlinge. Mindestens fünfzehn der Mitglieder des Präsidialkollegiums des Unternehmens waren mittlere und obere Führungskräfte der NSDAP. Das System der miteinander verflochtenen Verantwortlichkeiten ist noch unklar, als GAGFAH hat ihr Finanzwesen der Ära bis zum heutigen Tag nicht transparent gemacht.

Die ursprünglichen Namen der fünfzehn Straßen der Wohsiedlung bieten eine gut durchgedachte Fassung der gründenden Ideologie. Die Namen wurden aus den mehreren tausend Vorschlägen ausgewählt, die für den August 1938 im Schwarzen Korps, der Zeitung der SS angekündigten Wettbewerb ankamen. Eine Gruppe von ihnen betont die Pflege und Vermehrung der reinen Rasse, und gleichzeitig zeigt den Platz der Frau in der Familie auf: Ahnenzeile, Brautpfad, Mütterstraße, Kinderreichtum. Eine andere Gruppe weist die wichtigsten NS-Tugenden auf: Treue, Dienst, Himmelsteig, und bietet ein Vorbild auch für Männer: Staffelweg. Schließlich tragen die vier Hauptlängsstraßen die Namen von vier NSDAP- oder SS-Gründer, und sie laufen zusammen in den sich am Eingang der Wohnsiedlung öffnenden Führerplatz.

Der verwirklichte Bebauungsplan der Wohnsiedlung berücksichtigte die natürliche Umwelt in vollem Umfang. Man bewahrte den bestehenden Waldcharakter. Die vielen erhaltenen Kiefer, die auch die Häuser von oben versteckten, sind auch in den alten Fotos zu sehen, und in den vergangenen Jahrzehnten hat die Vegetation zwischen den Häusern eine noch größere Rolle übernommen. Die Einheit von mehr als dreihundert Wohnungen besteht aus vier verschiedenen Kategorien, mit gleichwertigen Wohnungen innerhalb jeder Kategorie, die mit Berücksichtigung des Ranges zugewiesen wurden. Die höchsten Offiziere lebten in den Einfamilienhäusern in der Mitte der Wohnsiedlung, die mittleren Beamten in den Zweifamilien- und Reihenhäusern, und die noch kinderlosen Paare am Rande der Wohsiedlung, in den mehrgeschossigen Eigentumswohnungen entlang der Argentinischen Allee.

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Die Familienhäuser hatten vier Zimmer (zwei auf dem Straßen- und zwei auf dem Obergeschoß), Speisekammer, Küche, Badezimmer, Terrasse, Abstellraum für Kleider, und Dachboden. Jedes Gebäude hatte einen Keller, wovon ein Teil natürlich ein verstärkter Bunker war. Die Küche und das Badezimmer wurden mit Sanitär- und andere Geräten auf dem Standard der Zeit gut gerüstet. Die Häuser hatten auch einen Privatgarten.

Die Straßenfassade (links) und Gartenfassade (rechts) eines Einfamilienhauses.
Erdgeschoß und erste Etage.

Die Zweifamilien- und Reihenhäuser, obwohl in einer ökonomischeren Form, folgten die gleichen Grundsätze.

Straßenfassade (links) und Gartenfassade (rechts) eines Zweifamilienhauses.
Erdgeschoß und erste Etage


Straßenfassade (links) und Gartenfassade (rechts) eines Reihenhauses.
Erdgeschoß und erste Etage

Die Schrägdächer mit großem Spreizwinkel, die eine gute Nutzung des Dachraumes erlaubten, die mit Klappläden ergänzten geteilten Fenster und Türen, die holzgetäfelten, herausspringenden Dachfenstern oder die Blumenkästen reichen auch zur deutschen Volksarchitektur zurück. Die konsequent angewandten Farben fördern die gleiche Tradition: der gleichmäßig helle Putz ist durch rotbraune, dunkelgrüne und dunkelblaue Elemente geteilt.

Kein Prunk an den Fassaden, die einfachen Bauten strahlen Komfort und ein solides Wohlbefinden aus, der wahre Luxus ist durch die geräumigten Wohnungen und den natürlichen Umwelt, den nahe gelegten See und das Klima des Kiefernwaldes dargestellt. In der einfachen Gestaltung der Fassade spielte es eine Rolle, dass die Konstruktion aufgrund der niedrig geplanten Mieten ökonomisch ausgeführt werden musste.

Nach den ursprünglichen Plänen hätten die Wohngebäude mit öffentlichen Gebäuden in der Form einer unabhängigen städtischen Einheit ergänzt werden müssen. Obwohl einige Geschäfte und Bedienungseinheiten verwirklicht wurden, die entlang der nördlichen Seite der Wohnsiedlung, im Norden von der aktuellen Zwingerberger Weg geplanten öffentlichen Gebäude, der Kindergarten, das SS-Gemeindezentrum, die Bildungs-, Kultur- und Sportzentren wurden nie gebaut. Trotz dieser Mängel, die zu jener Zeit für vorübergehend gehalten waren, war die Wohnsiedlung ein großer Erfolg. Das geplante beispielhafte Gemeinschaftleben konnte jedoch nicht erreicht werden, da mit dem Fortschreiten des Krieges viele der Mieter starben oder verschwanden, und die Wohnsiedlung vor allem von Frauen und Kindern bewohnt war. Im Jahre 1945, nach der Flucht der übrigen Einwohnern blieben die meisten der Häuser leer, und die verlassenen Gebäude wurden von Flüchtlingen besetzt.

Gemäß den Bestimmungen der alliierten Streitkräfte wurden 1945 die Wohnungen im Rahmen der Entschädigung an die ehemaligen NS-Opfer zugeordnet. Auf der ersten Blick scheint diese Entscheidung durchaus ambivalent: aus dem KZ oder dem Keller der Gestapo in die Musterwohnsiedlung der Begünstigten des Regimes – aber zu einem zweiten Gedanken scheint es eine ziemlich logische Wahl. Die kürzlich errichteten Gebäude stellten eine herausragende architektonische Qualität dar, und waren in gutem Zustand. Ihre Verwendung war nur natürlich in der Knappheit von Wohnungen der zerstörten Stadt. Damals hat die Wohnsiedlung den Namen Krumme Lanke Waldsiedlung nach dem nahe gelegenen See erhalten. Die an die NS-Vergangenheit erinnernden Straßennamen wurden auch ersetzt, nur der Himmelsteig und Im Kinderland haben ihre ursprünglichen Namen behalten.

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Obwohl seine Vergangenheit immer noch widersprüchliche Gefühle auslöst, doch seine architektonische Qualität und historische Bedeutung sind unbestritten, so ist die ehemalige SS-Kameradschaftssiedlung seit 1992 unter Denkmalschutz. Heute sind die Häuser in Privatbesitz, und die Besitzer sind in der bewussten Erhaltung der architektonischen Werte durch die Informationsbroschüre der GAGFAH unterstützt. Die Gebäude sind in gleichmäßig guter Zustand, die Räume zwischen ihnen sind gut gepflegt, sie scheinen in jedem Detail ausgearbeitet werden, so dass man die Wertschätzung für die gebaute Umwelt fühlen kann. Nach dem Zustandekommen des Denkmalschutzes wurde vorgeschlagen, dass irgendein öffentlichen Denkmal die Aufmerksamkeit auf die Geschichte der Wohnsiedlung lenke, aber der Empfang ist widersprüchlich, als viele befürchten, dass sie so ein Nazi-Wallfahrtsort werden könne. Deshalb können wir kein Anzeichen mit Hinweis auf die Gründungsgeschichte finden.

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Ein interessanter Vergleich konnte das modernistische Wohnsiedlungsprojekt von Bruno Taut sein, nur eine Haltestelle entfernt, die nur ein paar Jahre früher, aber nach völlig anderer Formensprache und Ansatz gebaut wurde. Dies wird aber die Gegenstand eines anderen Posts werden.

Die Krumme Lanke