Das beste Gemälde von Kamal-ol-Molk

Kamal-ol-Molk (mit einem Stock) unter seinen Studenten an der Akademie der schönen Künste in Teheran

Kamal-ol-Molk, der berühmteste persische Maler am Endes des 19. Jahrhunderts – in dessen Haus von Kashan wir übernachten werden – faszinierte sein Publikum vor allem mit seinen Genrebildern. Der von ihm eingeführte Stil war, so zu sagen, das Gegenstück des europäischen Orientalismus. Während letztere hat die großen und luxuriösen Räumen der romantischen und akademischen Malerei mit den reizenden Motiven des geheimnisvollen Orients vollgestopft, machte Kamal-ol-Molk die üblichen kleinen und intimen Bilder in den persischen Häusern, die klare Farben, nur ein paar Figuren, und kein Bildtiefe hatten, attraktiver für ein für die europäische Kultur immer empfänglichere persisches Publikum mit den in Italien erworbenen Techniken, den realistischen Körpern, der Darstellung der sich auf dem Gesicht abspiegelnden Seelenzustände, und der europäischen Perspektive. Es ist kein Zufall, dass die Reproduktionen seiner in den ehemaligen kaiserlichen Sammlungen bewahrten Gemälde – Der Wahrsager, Die jüdischen Hausierer, Goldschmiede in Bagdad, Musiker, Noruzfest und der Rest – sind imer noch übliche Dekorationen der Wohnungen und öffentlichen Räumen.

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Ein Bild übertrifft aber alles andere in der Popularität. Auf diesem sitzt ein bärtiger alter Mann an einem bescheiden gedeckten Tisch, und raucht seine Pfeife. Wir treffen dieses Gemälde immer wieder in jeder Stadt, an den Wänden der Privaträume, Werkstätten und Cafés, und sogar auf Ladenschildern von Teehäuser und Restaurants. Und es ist umso überraschender, dass das Bild völlig folklorisiert wurde. Man ändert und ergänzt es frei auf den einzelnen Reproduktionen, mit einer Wasserpfeife in den Kaffeehäusern oder mit einem aufwändig gedeckten Tisch in den Restaurants, je nachdem, was am gegebenen Ort nötig ist.

Die historische Kleinstadt Masuleh am Kaspischen Meer



Kashan, Restaurant neben dem Basar

Die Popularität des Bildes wurde zweifellos dadurch verstärkt, dass es eine wichtige symbolische Rolle in einem der bedeutendsten iranischen Filme des letzten zwei Jahrzehnte. Das Leben und nichts mehr (oder als es in Europa bekannt ist, Und das Leben geht weiter, 1992) von Abbas Kiarostami ist die Fortsetzung des ersten wirklich erfolgreichen Films des damals fünfzig Jahre alten Regisseurs, Wo ist das Haus des Freundes? (1987), das auch von uns erwähnt wurde. Im zweiten Film fährt der Kiarostami darstellende Schauspieler und sein Sohn mit einem verbeulten Auto von Teheran nach die Berge von Gilan, nur wenige Tage nach dem fünfzigtausend Opfer fordernden Erdbeben, um zu erfahren, ob die beiden jungen Protagonisten des vorherigen Films im Dorf von Koker die Katastrophe überlebten. Neben der Darstellung der Zerstörung und der Trauer veranschaulicht das Film hauptsächlich den Kraft und Entschlossenheit, mit dem die Überlebenden arbeiten, um die Häuser wieder bewohnbar und die Dörfer lebenswert zu machen, und neue Familien so bald wie möglich zu gründen, so dass das Leben wieder weitergehe. Das Film hatte eine echte therapeutische Wirkung in Iran, und diese Behandlung der Tragödie gab eine riesige Ermutigung und Kraft an der gesamten Gesellschaft. Es ist kein Zufall, dass Kiarostami bald ein drittes erfolgreiches Film drehte, Durch die Olivenbäume (1994), das er auf der sorgfältigen Analyse einer Schlüsselszene des Und das Leben geht weiter basierte. Diese drei Filme, die aufgrund des gemeinsamen Ortes oft von Kritikern „Die Koker-Trilogie“ genannt und als die herausragendsten Werke von Kiarostami betrachtet werden, sind in Iran noch weit bekannt, und ihre Auswirkung ist im gesamten iranischen Kino spürbar.

Einer der Höhepunkte des Und das Leben geht weiter, fast genau in der Mitte des Films ist, wenn der Hauptfigur in einem zerstörten Dorf anhält, und langsam die Überreste der Häuser betrachtet, die noch in Ruinen schön sind, mit den grünen Bergen von Gilan im Hintergrund. Auf einer Veranda, die intakt geblieben war, sieht er lange auf diese Reproduktion von Kamal-ol-Molk, die fast in der Mitte durch einen riesigen, von der Ober- zur Unterseite der Wand laufenden Riss geschnitten wurde, aber der alte Mann trotzdem setzt das Rauchen so friedlich fort, als ob nichts geschehen wäre. Die Schönheit und Kraft dieser Sczene bietet einen Schüssel zum ganzen Film. Es ist kein Zufall, dass dieses Bild auf dem Plakat des Films gewählt wurde, das nach zwanzig Jahren immer noch in vielen Clubs und Buchhandlungen gesehen werden kann. Ich habe es in einem CD-Shop auf der Vali-Asr Avenue fotografiert.



Es ist deshalb überraschend dass während das Bild eine so wichtige Rolle in der visuellen Kultur des modernen Irans spielt, und wen auch immer man fragt, findet es für das beste Gemälde von Kamal-ol-Molk, trotzdem werden wir es in keinem Album oder Website des Meisters finden. Man muss lange auf der persischen Web suchen, bis man jene kleine Geschichte findet, die in verschiedenen Seiten unterschiedlich lautet:

„Um 1940 gingen zwei Fotografen ins Dorf von Maragh neben Kashan, um Fotos von der Atmosphäre der Landschaft, diei Leute, und das Mausoleum von Baba Afzal zu machen. Sie hatten Mittagessen im Teehaus des Dorfes, wo ein alter Mann, der gerade sein bescheidenes Mittagessen bendet hatte, seine Pfeife anzündete. Sie haben es auch aufgenommen, und kehrten nach Teheran zurück. Erst nach der Entwicklung der Foto entdeckten sie, wie schön es war, und sie legten es an die Wand des Ateliers.
Nicht lange demnach besuchte der Besitzer des Laleh Cafés das Studio, um sich fotografieren zu lassen. Er sah an der Wand das Bild des alten Mannes mit der Pfeife, der Tee und dem Rest des Mittagessens auf dem Tisch. Er mochte es, kaufte es, und hängte es an der Wand seines Kaffeehauses.
Das Foto hing an der Wand für Jahre, bis eines Tages ein Maler kam ein, um eine Tasse Kaffee zu trinken und eine Zigarette zu rauchen. Er mochte das Foto, und verewigte es in Malerei.
Es dauerte nur ein paar Jahre, und das Gemälde wurde im ganzen Land auf Bilder, Plakaten und Ladenschildern, an den Wänden der Teehäuser, Cafés und Restaurants kopiert, in jeder Stadt, und entlang der Straßen…“


Die Geschichte wurde ebenso deutlich folklorisiert, wie das Bild. Das Laleh – Tulip – Café, das berühmte Kaffeehaus der vorrevolutionären Teheran ist längst geschlossen, so dass wir nie erfahren werden, wie das ursprüngliche Foto aussah, das so attraktiv für den Maler war, dass er es in ein Gemälde im Stil Kamal-ol-Molks umwandelte, und selbst die Signatur des Meisters auflegte. Oder doch?


Dieses Foto wurde 1907 von den Brüdern Lumière durch den von ihnen im gleichen Jahr patentierten Autochromprozess gemacht. Es ist offensichtlich, dass dieser Pfeife rauchende und Wein trinkende alter Pariser Mann musste das Modell des „iranisierten“ Gemälde sein.

Das heißt, das beste Gemälde von Kamal-ol-Molk, des nationalen Malers ist nicht seine eigene Arbeit, und nicth einmal eine individuelle Arbeit, sondern eine kollektive Schöpfung. Es hat noch nicht einmal ein authentisches Original, und deswegen konnte es in so viele Versionen folklorisiert und adaptiert werden. Seine Geburt bedankt es der Rezeption euuropäischer Modelle und ihrer Anpassung an persischen Mustern, und seine Popularität der Tatsache, dass es als ein anonymes Werk und ein kollektives Symbol in der Schlüsselszene eines der wichtigsten Filme über iranischen Schicksalfragen erscheint. All dies zusammen macht es wahrlich iranisch, ein Werk solches Styls und Bedeutung, dass wenn Kamal-ol-Molk es gesehen hätte, würde er es sicher mit seiner eigenen Unterschrift authentifizieren.

Die Geschichte könnte hier enden, das Rätsel wurde gelöst. Aber glücklicherweise schafft jedes gelöste Rätsel ein zu lösendes Neues. Die Konstellation der Pfeife, des Weines und des alten Mannes mit einem großen weißen Bart hetzt unser visuelles Gedächntis. An was erinnert es uns? Das ist es! Jenes früher präsentierte visuelles Parallel, wobei die beiden alten Herren in József Rippl-Rónais Mein Vater und Herr Piacsek beim Rotwein (1907) genau in dergleichen Pose sitzen, wie die beiden alten galizischen Juden auf Alter Kacyznes Foto zwanzig Jahre später. Das Foto der Brüder Lumière, obwohl es aus demselben Jahr ist wie Rippl-Rónais Gemälde, ist eindeutig kein Modell der späteren Bilder. Dennoch scheint seiner Figur die Rolle der beiden alten Männer auf einmal durchführen: seine Pose ist desjenigen auf der linken Seite ähnlich, während seine Pfeife an denjenigen auf der rechten Seite erinnert. Und wenn man will, kann man in die ungarisch-jüdisch-französisch-persische Gesellschaft auch eine spätere (1946) Skizze von Kamal-ol-Molk einführen, wo ein alter bärtiger Mann in der Pose der Figur auf der linken Seite liest. Sind diese bloße visuelle Zufälle? Oder ein unbewusstes bildliches Topos, eine ikonologische Formel der Periode? Und das Rätsel geht weiter.

József Rippl-Rónai: Mein Vater und Herr Piacsek beim Rotwein, 1907

„Byale (Biała Podlaska, in der Provinz Lublin), 1926. Vater und Sohn. Um sich vor dem Bösen
zu schützen, will Leiser Bawół, der Schmied nicht sagen, wie alt er ist, aber er muss wohl
über hundert sein. Jetzt setzt sein Sohn das Schmieden fort, und der alte Mann ist ein
Arzt geworden. Er heilt gebrochene Arme und Beine.“ Foto von Alter Kacyzne



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