Der Hahn hat gekräht


Seit vielen Jahren besuchten wir das siebenbürgische Szék, wenn wir zum ersten Mal von dem jüdischen Friedhof hörten. Nach einer zehntägigen galizischen Tour, als wir in der Nacht die Karpaten überquerten und in der über dem Someschtal niedrig schwimmenden Frühmorgennebel abstiegen, sitzten wir in der Küche unserer Freunde, und erzählten über das, was wir geschehen haben. „Nun, wir haben auch einen jüdischen Friedhof”, sagte Mari voller Stolz. Vom schmalen, zwischen Häusern verkeilten Grundstück auf dem Felszeg-Hügel kann man den christlichen Friedhof auf der anderen Seite des Dorfes sehen. Einige der zehn bis fünfzehn Steine sind bereits gefallen oder abgebrochen, ihre Inschrift ist schwer zu lesen. Die Deportierten kamen niemals zurück. Und keine Erinnerung blieb an diejenige, die hier ruhen, nur vage Geschichten zirkulieren über in Kellern versteckten Schätze.




Deshalb war es überraschend, als gestern, am von der Ungarischen Jüdischen Kulturellen Vereinigung (Mazsike) organisierten Konzert des Muzsikás Ensembles im Bálint Ház Kulturellen Zentrum, wo die Musiker wechselweise ihre Geschichten darüber erzählten, wie sie von alten siebenbürgischen und moldawischen Musikern das Repertoire der einmal von ihnen gespielten jüdischen Volksmusik gesammelt haben, Mihály Sipos präsentierte ausführlich die Erinnerungen der Musiker von Szék davon, wie die Juden des Dorfes ihren eigenen Tanzsaal organisierten, und wie sie den Jüdischen Tschardasch von Szék auf die lokalen ungarischen Melodien oder auf die nach den Stil von Szék orchestrierten jüdischen Weisen tanzten, Männer und Frauen einander an den Händen nicht berührend, sondern nur die beiden Ränder des gleichen Taschentuch haltend. Das Andenken des verschwindenen Gemeinschaft blieb erhalten und jetzt wieder belebt von der Musik.








Jüdischer Tschardasch von Szék. Aufgeführt vom Muzsikás Ensemble, Mazsike / Bálint Ház, Budapest, 12. Dezember 2012


Der Faden der Geschichten ging von der im CD The Rooster Is Crowing veröffentlichten Maramuresch-Musik aus, aber glücklicherweise versuchten Mihály Sipos, Péter Éri und Dániel Hamar, vor allem diejenige von ihnen gesammelten Stücke zu aufführen, die nicht auf der CD enthalten sind. „Diese auf Kaval gespielte Musik sammelten wir in Moldau”, erzählt Dániel Hamar. „Wir spielten es auf mehreren Konzerten, bevor wir auf das Krakauer Klezmer-Festival eingeladen wurden, wo das Abschlusskonzert eine gemeinsame Aktion der renommiertesten Ensembles, wie Klezmatics, Brave Old World und dergleichen war. Wir haben nicht einmal erwarten, dort zu sein, aber wir wurden speziell im Hotel angerufen, und gebeten, zu gehen. Die Asse eifersüchtig teilten die Zeit unter sich, wer wie viele Minuten bekommt von der halben Stunde. Wenn jeder seine Zeit gegeben wurde, haben wir auch gefragt, was wir tun sollen. Was? Nun, wenn jeder sein Stück spielte, dann kommet ihr, und beginnt diese wunderbare moldauische Melodie. Dann allmählich jeder schaltet ein. Ihr könnt die gemeinsame Aufführung leiten und so lange spielen, wie ihr wollt.”









Jüdischer Tanz von Moldau


Über das Lied Ani Maamini, dessen Text der zwölfte Punkt von Maimonides Glaubensbekenntnis und auch eine Verse des Morgengebetes ist – „Ich glaube mit vollem Vertrauen das Ankommen des Messias, und obwohl er verzögert sich, warte ich jeden Tag ihn zu kommen” – werden wir später ausführlich schreiben. Das Muzsikás sammelte es in Maramuresch vom Zigeunerprimas Gheorghe Covaci, der es zum ersten Mal von den aus Auschwitz zurückkehrten Juden hörte. Dániel Hamar erzählte jetzt ihre Geschichte darüber: „Wir spielten ungarische Volksmusik mehrere Male in London und Paris, und jedes Mal saß in der ersten Reihe ein alter Herr – ein großer Physiker –, die nach jedem Konzert kam zu uns, ein paar Wörter zu reden, manchmal auf Englisch, und manchmal auf Französisch. Es war in Paris, dass wir auch einige in Maramuresch gesammelten Stücke, unter den auch Ani Maamini aufführten. Der alte Mann wieder kam und bedankte sich bei uns – auf einer klaren Ungarisch, wenn auch etwas unsicher und nach die Wörter suchend. Er erzählte, wie sie in Auschwitz, in der Nacht in den Baracken, dies Lied summend sich in den Schlaf schaukelten, und wie viel Kraft es für das Überleben gab.”








Ani Maamini


Das Konzert konnte sich natürlich nicht ohne den Titeltrack der Platte, der am meisten emblematischen ungarischen jüdischen Volksliedes Der Hahn kräht beenden, das das Publikum zusammen mit dem Muzsikás sang. Das Lied wurde von den in der gleichen Region gesammelten Szatmárer Tänze eingeführt, und das Zugabestück war das Eröffnungsstück der Platte, die chassidischen Hochzeittänze aus Maramuresch.







   





   






Der Hahn kräht, Szatmárer Tänze, und Chassidische Hochzeittänze aus Maramuresch


Die schönste Musik ist natürlich immer diejenige, die du verpasst zu aufnehmen. Kurz nach dem Beginn aufführten Mihály Sipos und Dániel Hamar am Viola und Gardon eine in Gyimes gesammelte rubato Melodie, die, wie sie sagten, auch alte jüdische und andere orientalische Motiven in die bereits archaische Musik von Gyimes einwebt. Die früheren Aufnahmen können Ihnen helfen, sich vorzustellen, was für eine Macht diese Melodie hatte, wenn ich sage, dass es das reizendste Stück des Konzerts war. Nach dem Konzert fragte ich Mihály Sipos ob es in einem ihrer Alben enthalten ist, aber leider nicht: sie spielen es nur auf Konzerten. Ich hoffe, dass ich noch Möglichkeit haben wird, es nochmals zu hören, und auch Ihnen zu präsentieren.


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