Alter Mann (vielleicht Onkel Soma) spielt auf Drehpiano, Tahi Straße, Bezirk Angyalföld, Budapest, um 1963
Unser Post ist auf einmal hier und auf dem Heimatkunde-Blog „Plant a Tree” des Bezirkes Angyalföld von Budapest veröffentlicht. |
Onkel Gyula, der lahme Althändler…
die wachsweiche kindliche Wahrnehmung, die solche kleine Momente hält, worüber der Erwachsene so leicht hingeht…
Wege der Leierkastenmänner in Angyalföld (die im Post erwähnten Plätze, auf die Karte des Bezirkes projiziert) |
Für viele Kinder in Angyalföld war die Musik des Leierkastenmannes zum Sonntagsmittagessen verknüpft. Andere halfen für den Preis eines Eises, den Karren zu schieben, oder die aus den Innenhoffenstern geworfenen, in Zeitungspapier eingewickelten 50-Filler-Münzen zusammenzuklauben. Sie erinnern sich noch auch an die Lochkarten, und sie sagen, dass der Leierkastenmann hat sie nicht gekauft, aber er selbst gemacht.
Das ist aber ein interessantes Element der Geschichte, denn, wie weit wir es wissen, verwendet diese Art von Drehpiano keine Lochkarten.
Straßenmusik-Maschinen haben zwei Haupttypen: das Drehpiano, das wir auf dem Bild sehen, und die Drehorgel. Der letztere Name wird oft für beide Arten verwendet. Doch im Drehpiano werden die die Klänge hervorrufende Tasten durch einen Zylinder betrieben, worauf die Melodie durch Nägel codiert ist, ähnlich wie bei den in den Spielladen verfügbaren kleinen Musikdosen. Natürlich kann der Zylinder des Drehpianos bis zu mal größer sein, da die Länge des Musikstücks, das abgespielt werden kann, hängt vom Durchmesser ab. Im Fall des Drehpianos betätigt der Zylinder eine Klavierstruktur.
Dieser plebejische Musik-Maschine hat auch einen aristokratischen Bruder, das Pianola. Auf den ersten Blick ist es ein traditionelles Instrument, mit Klaviatur und Pedale. Dies wirklich benützt auf Lochkarten gespeicherte Codes, das eine viel feiner differenzierte Wiedergabe ermöglicht. Das Pianola war auch eine der ersten Techniken des Musikaufnahmens, die die tatsächliche Aufführung eines Pianisten aufzeichnete, damit das Ergebnis kein Maschine-Playback einer sterilen Melodie, sondern eine echte künstlerische Interpretation war. Solche Aufnahmen wurden unter anderem von Scott Joplin, Béla Bartók, oder dem jungen Artur Rubinstein gemacht.
Es ist daher ein Rätsel, wie die Lochkarten in diese Kindheitserinnerungen einsickerten. Vielleicht gab es ein weiteres Instrument in der Nachbarschaft, das auf diesem Prinzip funktionierte, aber es ist auch möglich, dass der alte Mann einfach die jungen Mädchen austricksen wollte. Wer weißt das.
Der Mann auf dem Foto könnte Onkel Soma aus dem nördlichen Bezirk Újpest sein, der in der Regel von der Polgár Kneipe in der Erzsébet Straße spielte, sagt einer der Informanten. Andere fügen dazu, dass es auch in Petneházy Straße ein Leierkastenmann lebte, der hat oft in der Gyöngyösi Straße oder im Armenviertel „Tripolisz” gespielt.
Wenn wir sorgfältig das folgende Foto aus der 1930er Jahren prüfen, taucht es auf, dass wir hier vielleicht dieselbe – nur einige Jahrzehnte jüngere – Maschine sehen. Vielleicht is auch der Mann in den beiden Bildern derselbe?
Die optimale Nutzung der vom Werkelmann (wie er im Wienerdeutsch genannt wurde) angebotenen Chances ist gezeigt in diesem fröhlicen Bild von Josef Engelhardt aus 1890.
Und wenn es das gleiche Instrument ist, dann ist es auch im folgenden Bild, aus den dreißiger Jahren? Die schlechte Qualität und die verschiedene Perspektive machen den Vergleich schwer. Die gedrehten Füße sind vielleicht von einem eingerüsteten Unterstützung verdeckt, aber ansonsten erscheinen die Instrumente ähnlich. Allerdings war der Beruf des Leierkastenmanns typischerweise ein Ein-Mann-Unternehmen, und der Mann mit dem Hut und derjenige mit der Arbeiterskappe sind vielleicht nicht identisch. Wer weiß es sicher heute?
Leierkastenmann in der dreißiger Jahren. Foto von Lajos Szabó, in: Fortélyos félelem igazgat, Móra, 1974. Nach unseren Informanten wurde es aus der benachbarten Wohnung an Attila Straße 150 aufgenommen.
Aber es gab auch andere ambulante Darsteller im Bezirk entlang der Achse der Váci Straße. Im Wohnviertel Tripolisz man erinnert sich sogar an einen singenden Bettler, der so alt war, dass seine Stimme die Fenster nicht erreichte. Dennoch erhielt er auch seine Gebühr. Und neben den Leierkastenmännern – die oft Kriegsbeschädigte oder aus anderen Gründen einer leichteren Arbeit bedürftigte waren – gab es auch eine wichtige Konkurrenz im Hofbegang: die Zigeuner. Sie waren vor allem junge Menschen, die das tägliche Übung mit dem Brotverdienen verbanden, und mit ihren Geigen herumgehend populäre Schlager oder ungarische Lieder spielten. Angyalföld war die Wiege von vielen berühmten Zigeunermusikern, wie wir es in einem späteren Post erzählen werden.
Es gab auch zwei andere alte Männer, Onkel Pista und sein Schwäger oder Bruder… vielleicht es sind sie auf dem Fotos von Iván Vydareny aus Angyalföld von der sechziger Jahren, als sie ihre Musik-Maschine in der Visegrádi und Gogol Straße schieben.
Und das Pianola, das unsere Tour in Angyalföld begleitete, taucht unerwartet wieder auf ein letztes Mal, zu verabschieden: es war in 1969 zur Verfilmung des berühmten Die Jungen von der Paulstraße von Ferenc Molnár gekauft.
“Exactly at quarter of one, after repeated futile experiments, the tense anticipation was rewarded. Into the colorless flame of a Bunsen burner upon the classroom desk there suddenly burst a flash of bright emerald; the professor’s efforts to demonstrate the fact that the compound, whereof the professor wanted to show that paints the flame green, indeed paints the flame green; say, at quarter of one, in that triumphant minute, a barrel piano resounded in a neighboring courtyard. Whereupon all earnestness and attention instantly fled. The windows were wide open, welcoming the warmth of a March day, while the wings of fresh Spring breezes wafted music into the room. It was a rollicking Magyar melody which issued in march tempo from the barrel piano. It was so utterly hilarious an air, so Viennese in spirit, that the entire class felt tempted to smile; indeed, many among those present did not restrain this urge.”
Ferenc Molnár: The Paul Street Boys, 1.
Ich kennte solche Straßenmusikanten nur aus einem Radiomärchen, aber wir liebten ihn sehr auch dort. (Aus der fast 50-minütigen Geschichte spielt der Leierkastenmann Zakariás nur einige Minuten am Anfang und am Ende.)
Jede Maus liebt Käse. Radiospiel, 1980.
Zakariás: Károly Kovács – Papagei: Ferenc Háray – Tante Lidi: Józsa Hacser – Onkel Márton: László Csákányi – Soma: Endre Harkányi – Mama Szeréna: Éva Schubert – Papa Albin: Samu Balázs – Fruzsina: Hédi Váradi – Großer Katzenmagier: Gyula Bodrogi – Pepita Mäuser: Ildikó Meixner, Péter Csepeli – Im Zusammenarbeit mit dem Ensemble des Symphonieorchesters des Ungarischen Rundfunks – Musik und Leitung: Lászó Gulyás – Geschrieben und arrangiert von Gyula Urbán
Fogd meg a vízben a csillagot!
Hasztalan, úgysem tudod!
Idelent hiába vallatod,
fönt van a fényes titok.
Csillagba zárták a sorsodat,
csillag a vízben ragyog
Tükrödből nem tudhatsz meg sokat,
fönt van a fényes titok.Fange die Sterne auf dem Wasser!
Nutzlos, das kannst du nicht
Vergeblich verhörst du sie hier:
Dort oben ist das helle Geheimnis.
Dein Schicksal wurde in den Sternen
eingeschlossen, die auf dem Wasser glänzen:
Dein Spiegel wird nicht viel erzählen:
Dort oben ists das helle Geheimnis.
Update: Dank dem Aufruf im Frühjahr 2013 der Kreisbibliothek, zwei neue Fotos von 1965 wurden aufgetaucht. Für Vollständigkeit füge ich sie hier ein.